FINNLAND

Die Kriegerin

Katja Kettu geht an die innere Nordgrenze

Dieses Buch sollte man ausnahmsweise mal hinten anfangen. Mit dem Nachwort der Übersetzerin. Jedenfalls wenn man sich nicht gut mit Finnland auskennt und mit seiner verwickelten Rolle im Zweiten Weltkrieg. Angela Plöger erklärt, warum Finnland erst allein, dann mit Hitler gegen Stalin, schließlich aber mit Stalin gegen Hitler marschierte, und wie das Land 1944 ins Chaos stürzte. Sie erklärt auch, dass Katja Kettu zu einer neuen Gruppe von Schriftstellern gehört, die sich diesem oft verschwiegenen Kapitel der Nationalgeschichte widmen. Und dass sie das in einer Sprache tut, die selbst muttersprachliche Finnen verwirrt. Kattja Kettu mischt Dialekte, erfindet neue Wörter, baut nie gehörte Sprachbilder und lässt ihre seltsame Geschichte dunkel glühen, mal derb, naiv, wie Bauernmalerei, mal zärtlich allen Schattierungen der Natur nachspürend. Das meiste davon hat Angela Plöger ins Deutsche gerettet.

Katja Kettu erfindet eine Erzählerin, deren Großmutter 1944 als Hebamme in Lappland arbeitet. Sie verfügt über das traditionelle Wissen der weisen Frauen, wuchs aber in einem evangelikalen Haushalt auf. Erst mit Anfang 30 verliebt sie sich das erste Mal, ausgerechnet in einen schmucken SS-Offizier, der in einem Gefangenenlager ein Schwimmbad baut. Jedenfalls glaubt er das. Aber seit seinem Einsatz bei Babi Jar, dem Massaker in der Ukraine, ist Johann Angelhurst traumatisiert und funktioniert nur noch unter Drogen. Das hält "Wildauge", die einzelgängerische Hebamme, aber nicht davon ab, ihm zu verfallen. Auch nicht, dass im Lager die weiblichen Gefangenen allmählich in einem streng abgeschotteten "Kuhstall" verschwinden, und erst recht nicht, dass der finnische Widerstand die ungeliebte magische Frau zur Feindin erklärt.

Etwas überkonstruiert erscheint, dass Katja Kettu häufig Zeitebenen und Erzählperspektiven wechselt, mal als Wildauge, mal als Johann schreibt, mal Briefe einfügt und am Ende eine Enkelin erklären lässt, sie habe zwar Notizen, könne aber in historischen Quellen keine Belege für ihr böses Märchen finden. Und vollends überflüssig ist das Literaturverzeichnis voller finnischer Einträge. So eine Grundierung der Geschichte nimmt ihr, jedenfalls außerhalb Finnlands, einiges von der Verstörung, die der Liebeswahn der Hebamme von Titowka auslöst.

Wing

Katja Kettu: Wildauge. Aus dem Finnischen von Angela Plöger. Galiani, Berlin 2014, 416 S., 19,99