LIEBE

Die süße Haut

Traurige Geschichten der Schottin A.L. Kennedy

Die unter dem Titel Hat nichts zu tun mit Liebe versammelten Geschichten haben eines gemeinsam: es geht wirklich nicht um Liebe. Es geht um den Körper. Nicht einfach um Sex, um den auch, sondern um die körperliche Sehnsucht nach Berührung, Wärme, Aufmerksamkeit. Die Seele mag längst schon in einem verwüsteten Land verloren sein - der Körper will das nicht einsehen und besteht auf Zuwendung.
In der Geschichte "Anderswo" ist die traurige Heldin in einer US-Kleinstadt gestrandet. Alles ist öde, verlogen, provinziell notgeil, und June denkt: "Wenn niemand als ich selbst meinen Körper findet, ist er bedeutungslos. Er hat keine Berechtigung mehr. Ich laufe herum, ich weiß, daß ich diese Wärme in mir trage, meine eigene Wärme, dieses Leuchten, das ich selbst bin, die süße Haut, die irgendwo versteckt ist, und die Wahrheit, die weiche Wahrheit, der Frieden meiner selbst." Für diesen Frieden lädt June sogar den stadtbekannten Frauenhelden Freddie zu sich nach Hause ein - und flieht dann schreiend ins Bad, weil sie den ekligen Kerl dann doch nicht erträgt. Für diesen Frieden läßt sich eine andere Heldin (in "Fallen verlernen") von einem fremden Mann telefonisch zu Orten schicken, an denen sie allein sein wird; es reicht ihr, dass sich überhaupt jemand für sie interessiert.
In "Ein kurzes Gespräch über den Regen in Amerika" lebt die Frau mit einem älteren Mann zusammen, der allergisch auf Berührungen reagiert. Wann immer sie ihn anfaßt, kriegt er rote Pusteln. Also strickt die Mutter des Mannes zwei Ganzkörper-Schlafanzüge, in denen sich die beiden sexuell abmühen. Als eines Tages ein netter Kerl vor der Tür steht, erkennt die Heldin instinktiv ihre Chance. Der nette Kerl ist leider ein Serienmörder, aber so bietet sich immerhin die Gelegenheit, den Gatten abmurksen zu lassen.
Der Humor der schottischen Autorin A.L. Kennedy war immer schwarz, ihre Sicht auf die Welt ist weiblich (sie erfindet, gottseidank, nie männliche Helden). Und obwohl die Kerle meistens widerlich sind, geben die Frauen ihnen selten die Schuld an ihrem Elend. Sie spüren nur, dass da noch was anderes sein müßte. Mehr. Und haben sich meistens nicht mal mit dem Zweitbesten abfinden müssen.
In der letzten Geschichte "Etwas Falsches" liegt die Heldin allein, krank und kotzend in einem Hotelzimmer. Sie hat ihre Liebe gefunden, die große, die die Seele erwärmt. Und diesmal ist es der Körper, der sich dieser Liebe verweigert ... es bleibt schwierig.
Thomas Friedrich
A.L. Kennedy: Hat nichts zu tun mit Liebe. Aus dem Englischen von Ingo Herke. Wagenbach, Berlin 2003, 136 S., 9,90 ISBN: 3803124638