IM KOPF Fremde Geschichten Leiden an den Gedanken: Erzählungen von A.L. Kennedy In den Kurzgeschichten Was wird von A.L. Kennedy finden die wirklich wichtigen Dinge irgend woanders statt, meistens im Kopf der Hauptperson. Da gibt es die wunderbare Geschichte, wie ein Öko-Gemüseverkäufer sich in eine Kundin verliebt und in Gedanken die Entwicklung dieser Liebe vorwegnimmt; er steht im Keller, mit blutendem Daumen, und träumt, wie sich dieses Verliebtsein entwickeln wird, wie sie einander Bücher schenken ("Dieselben Worte, die in ihrem Kopf waren, sind jetzt in deinem, noch warm"), ausgehen werden, Sex haben. Und es wird nichts werden, was aber nicht an der Geschichte oder gar der Frau liegt, sondern allein in den Gedanken des Mannes. In der Titelgeschichte sitzt ein Mann allein im Kino, auch er hat sich, wie der Gemüsehändler, in den Finger geschnitten. Aber er ist weggelaufen vor einem Ehestreit, den er im Kopf noch einmal durchspielt, und dabei fallen plötzlich ein paar wenige, ganz furchtbare Sätze über die geheime Arbeit dieses Mannes, dass man nach dieser Geschichte das Buch erst einmal aus der Hand legen muss. Das wird einem bei jeder dieser Kopf-Geburten so gehen, die alle im Gedankenecho einer Hauptperson spielen und die Realitäten aufs Verwirrendste vermischen. Und das alles in dieser kargen, poetischen Sprache der Schottin A.L. Kennedy, deren Romane immer etwas zu weitschweifig geraten, der Kurzgeschichten aber unübertroffen traurig und präzise sind. Übrigens auch präzise traurig. Hier herrscht kein diffuser Weltschmerz, keine melancholische Wehleidigkeit. In jeder dieser Geschichten besitzt das Elend einen Namen und eine Anschrift. Thomas Friedrich
A.L. Kennedy: Was wird. Erzählungen. Aus dem Englischen von Ingo Herzke. Wagenbach, Berlin 2009, 220 S.,
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