METATEXT

Papierwelten

Giwi Margwelaschwilis »Der Kantakt« besucht Kurt Tucholskis »Rheinsberg«

Dies ist ein völlig unmögliches Buch, von einem Autor, den man glatt für erfunden halten könnte, wegen seiner Lebensgeschichte und der Monomanie seines Werks. Giwi Margwelaschwili nämlich scheint nur ein Thema zu haben: sich selbst, und nur eine Methode: Bücher zu schreiben, die in Büchern spielen.

Dieses hier spielt 800 Seiten lang in der nicht mal 80 Seiten langen Erzählung Rheinsberg, die Kurt Tucholsky 1913 veröffentlichte. Damals kriegte jeder Käufer angeblich einen Schnaps zum Buch, bei Margwelaschwilis Metatext müsste es ein ganzes Fass sein, weil die Reise doch arg lange dauert.

Angeblich findet Margwelaschwili, 1995 als Stadtschreiber im modernen Rheinsberg engagiert, eine "Rheinsberg"-Ausgabe in seinem Zimmer, dazu allerlei historische Bücher, aber dummerweise keinen Schlüssel, um sein Domizil zu verlassen. So gerät er eben, man weiß nicht wie, in das kleine Buch hinein und malträtiert uns fortan mit ellenlangen Überlegungen darüber, wie Buch- und Lebens-, Lese- und Denk-Welten zusammenhängen. Er erfindet eine komplette Literaturtheorie voller abstruser Fachbegriffe und scharwenzelt sich allmählich an die Hauptpersonen heran, die eigentlich bloß einen romantischen Kurzurlaub vor sich haben.

Den dehnt Margwelaschwili mit Zitaten aus eigenen Werken, mit Schwerphilosophie (Husserl!, Heidegger!!) und mit seinem langen Leben (er wurde 1927 geboren) auf ein mittleres Generalstudium aus. Bei dem man allerdings nie weiß, ob man hier den Idiosynkrasien eines alten Mannes folgt oder einem großen Europäer beim allmählichen Verschroben.

Der Titel ist eh nur eine alberne Irritation, deren Welthaltigkeit man aber auf Hunderten von Internetseiten überprüfen kann. Sehr oft wird da "Kontakt" falsch geschrieben als "Kantakt", erstaunlich oft bei Osteuropäern, wohl weil im Russischen das "o" wie ein "a" ausgesprochen wird. Bei Giwi Margwelaschwili aber sicher auch wegen Immanuel Kant, weil der in Berlin geborenen Sohn georgischer Emigranten lange Jahre in Tiflis/Tbilissi Deutsch und Philosophie lehrte.

Dorthin hatte ihn 1946 der NKWD verschleppt, dort schrieb er als verinnerlichter Emigrant ein umfangreiches Werk auf Deutsch, dass von Anfang an in Büchern spielte. Er schickte Kirchenagenten in die Bibel, um den Kindsmord des Herodes zu verhindern (durch Entführung in das Lukasevangelium, in dem er nicht vor kommt). Er ließ Helden der georgischen Nationalliteratur in ihren "Lesepausen" ein erfülltes Leben haben. Er schickte einen Polizisten in den Roman "Das Schweigen der Lämmer", in dem er angeblich vor 100 Jahren gestorben ist. Und er spreizte immerzu das eigene Leben unter den Zwängen des Exils als Literatur-Widerborst auf, der das Leseleben korrigieren will, weil das eigene nicht so gelang.

In "Kantakt" kann er nun endlich, seit 1994 deutscher Staatsbürger in Berlin, und erstmals selbst ausdrücklich Teil der Handlung, seinen Buchpersonen ihr Leben als Buch übergeben. Mit der Versicherung, sie würden ewig glücklich sein, wann immer sie jemand liest.

Wing
Giwi Margwelaschwili: Der Kantakt, Verbrecher Verlag, Berlin 2009, 800 Seiten, 36,00