Moral in Wiederauflage

Bei Atrium sind wieder zwei Erich Kästner-Bände erschienen

Der Roman hat Erich Kästner kein Glück gebracht. Zwar war Fabian - Die Geschichte eines Moralisten bei seinem Erscheinen 1931 ein großer Erfolg beschieden. Gleichzeitig gab der Roman den Ausschlag für die zwei Jahre später an die Macht gelangte Nazi-Bande, Kästner auf den Index zu setzen und ihn mit Schreibverbot zu belegen. Kästners Karriere war erstmal zuende.

Kein Wunder: Nicht nur, dass die braunen Schlägerbanden der SA als tumbe Trottel geschildert wurden. Fabian war insgesamt ein Roman, der den Untergang der Weimarer Republik zum Thema hatte. Die Konservativen, getrieben von einem Ehrbegriff "gekränkter Truthähne" (Fabian), sehnten das Ende der ungeliebten Republik herbei, der liberale Rest, so beschreibt es Kästner etwas moralsäuerlich, gab sich derweil spätrömischer Dekadenz hin. Fabian ist ein witziger, moralischer, trauriger Roman über einen, der dem Untergang ebenso amüsiert wie resigniert zusieht. Das Leben ist schlecht und die Menschen sind böse - aber man darf nicht aufhören, sie bessern zu wollen.

Als Kästner nach 1945 endlich wieder schreiben und in Deutschland veröffentlichen durfte, wurde Fabian wieder aufgelegt. Aber im Vorwort scheint sich Kästner beinahe für den Roman zu entschuldigen. Das spießige Adenauer-Deutschland, das mit den Nazis längst wieder im Reinen war und Kommunisten erneut hinter Gittern gebracht hatte, bot nicht den richtigen Hintergrund für das moralische Laissez-faire des Fabian. Schon gar nicht, weil in Fabian jene Klasse von Honoratioren bespöttelt wurde, die in Deutschland wieder an den Schalthebeln sass.

Fabian wird immer wieder aufgelegt, der kästnersche Tonfall und Witz wird immer noch gern genommen. Aber aus dem sozialkritischen Roman (der ursprünglich Fabian oder Der Gang vor die Hunde heißen sollte) ist längst eine harmlose Unterhaltungslektüre geworden. "Alles, was gigantische Formen annimmt, kann imponieren, auch die Dummheit." Dass dieser Fabian-Satz vor dem Hintergrund der Nazi-Gigantomanie mehr ist als etwas, dass sich die Leute gerne als Spruchkarte aufs Schränkchen stellen wollen - dafür bräuchte Fabian ein erläuterndes Nachwort. Nicht weil der Kästner-Text nicht deutlich genug wäre. Aber die Leute sind heute zu dumm, um daraus klug werden zu können.

Ein ähnliches Problem ergibt sich bei dem von Sylvia List zusammengestellten und herausgegebenen Buch Meine Mutter zu Wasser und zu Lande. Darin präsentiert List nicht nur einen schmalen Ausschnitt der Briefe, die Kästner an seine Mutter schrieb, sie zitiert auch aus Lyrik und Prosa, um die enge und wichtige Bindung zwischen Mutter und Sohn zu belegen. Die ist ja längst unstrittig, und Kästners Werk ist in dieser Hinsicht derart ergiebig, dass man sich nicht nur über die schöne Zusammenstellung der "Stellen" freut, sondern sich gerne auch an weitere erinnert (aus dem Fliegenden Klassenzimmer etwa). Um Anmerkungen aufs knappste ergänzt, kann man der chronologisch geordneten Materialfülle mit Gewinn folgen, zumal Kästner-Texte, ob in privater oder professioneller Absicht verfasst, immer amüsant sind. Aber wenn schon kein Platz war für die Werk-Einordnung der Fundstücke, wäre ein kurzer biografischer Aufriss hilfreich gewesen.

Ein Spaß am Rande: Die Coverillustration zu Meine Mutter scheint auf den ersten Blick zu Fabian zu gehören (wenn man den Roman kennt). Das Fabian-Cover, wie schon bei anderen Kästner-Neuauflagen von Hans Traxler gezeichnet, ist hingegen von bemerkenswerter Bedeutungslosigkeit.

Thomas Friedrich
Erich Kästner: Fabian - Die Geschichte eines Moralisten. Atrium, Zürich 2010, 270 S., 19,90
Erich Kästner: Meine Mutter zu Wasser und zu Lande. Geschichten, Gedichte, Briefe. Herausgegeben von Sylvia List. Atrium, Zürich 2010, 12,00