NETZMUSIK

Melodien für Millionen

Nick Hornby greift wieder in die Plattenkiste

Enttäuschte Gefühle sind, wenn schon nicht die schönsten, so doch unter den dauerhaftesten. Was gut zu Nick Hornby passt, der mit "Juliet, Naked! gerade seine Fangemeinde spaltet.

Wer "High Fidelity, 20 Jahre danach" lesen wollte, ist sauer, weil die Helden jetzt älter, langsamer und ein bisschen weinerlicher sind. Wer endlich den Beginn des Alterswerks erwartete, ärgert sich, dass die Midlife-kriselnden ausgerechnet über läppische Musikfragen kathartisch werden. Wenigstens der zersetzende Einfluss des Internets auf das Privatleben ist für alle gut getroffen.

Duncan und Annie leben recht unauffällig in England herum. Duncan betreibt eine Fan-Website über den obskuren Rockmusiker Tucker Crowe, der vor 20 Jahren verschwand. Annie duldet die Verehrung leicht amüsiert, denkt aber schon, erwachsen geht anders.

Als plötzlich die bisher unbekannte Demo-Version (eben "Juliet, naked") eines berühmten Studio-Albums von Crowe auftaucht, brechen alle Dämme. Duncan wirft sich erleuchtet zum Propheten des reinen Croweismus auf, Annie schreibt ihre erste Musikkritik ("nett, aber nicht wesentlich") und beide glauben, dass sie sich wohl nie geliebt haben, wenn sie so unterschiedlicher Meinung sein können.

Dann taucht auch noch Tucker Crowe aus der Versenkung auf, und alle arbeiten sich an der Musik von früher, aneinander und diversen Ehen und Kindern dazwischen ab. Die Erkenntnisse sind nicht eben bahnbrechend, aber der leicht ironisch weise Hornby-Ton, in dem jeder beschreibt, wie er sich dabei ertappt, nichts gelernt zu haben, unterhält.

Wem die Helden egal sind, der kann sich über die allmähliche Entmystifizierung glorreicher Musikmomente freuen, über gut beobachtete Mitschnitte aus erfundenen Fan-Chats. Und über viele kleine Hornby-Momente in den Alltagsschilderungen, für die der junge Hornby so berühmt geworden ist. Schade, dass Hornby der ältere immer mehr unlustigen Text dazwischen schreiben muss. Andererseits handelt "Juliet, Naked" auch davon: Dass ein Werk, so schlotterig es innen auch sein mag, von der Einkleidung lebt.

Wing
Nick Hornby: Juliet, Naked Aus dem Englischen von Clara Drechlser und Harald Hollmann. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2009, 360 S., 19,95