GESCHICHTE
Jüdische Leitkultur
Warum die Menschen gut werden wollten
Rudolf Augstein, der olle Nationalist, hat jüngst im "Spiegel" einen beherzt bezaubernden Essay veröffentlicht: Für ihn sei immer die jüdische Leitkultur ausschlaggebend gewesen.
Was das sein könnte, steht in dem Buch Abrahams Welt. Der US-Theologe Thomas Cahill hat darin die wichtigsten Geschichten des Alten Testaments zusammengefaßt, um uns klarzumachen, was für eine geistesgeschichtliche Errungenschaft der monotheistische Glaube der Juden gewesen ist. Cahills These: Die Bedeutung der Individualität, der persönlichen Verantwortung konnte sich nur unter genau diesem Gott herausbilden. Der kategorisch fordert: Töte nicht, stehle nicht, lüge nicht. Glaube an mich. Nur wer mit Gott redet, so Cahill, redet auch mit sich selbst und seinem Gewissen.
Das muß man nicht glauben, und es gäbe eine Menge Einwände (etwa warum Orient und Okzident so auseinanderfallen, wo sie doch die gleichen religiösen Wurzeln haben), aber das braucht uns nicht zu interessieren. Denn zum einen ist Cahills Umgang mit den alten Texten hinreichend respektlos, um auch für gläubige Atheisten lehrreich und amüsant zu sein. Zum anderen kann man, sozusagen auf einer heimlichen Seitengasse, Cahills Argumentation folgen mit dem unerlaubten Gedanken, was es eigentlich bedeutet, wenn Menschen sich zu einer bestimmten Zeit plötzlich genau so einen Gott ausdenken. Die Ergebnisse, zu denen man kommt, sind gar nicht weit entfernt von denen Cahills.
Erich Sauer
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