ABWEICHUNGEN Gestern, Heute, Irgendwann Rachel Joyce liest ein Leben quer 1972 fügten die Wissenschaftler der Welt dem Jahr zwei Sekunden hinzu, um die Zeit wieder in Takt mit der Erdbewegung zu bringen. Das findet der 11jährige Byron sehr aufregend. Erst recht, als in den zusätzlichen Sekunden scheinbar ein grässlicher Autounfall passiert, den außer ihm keiner bemerkt. Fortan deutet Byron alles, was sonst noch passiert, als Folge dieser Zeitverschiebung und bemüht sich gerade deshalb, möglichst alles richtig, ja perfekt hinzukriegen. Das Gegenteil geschieht. Byrons heile Welt gerät völlig aus den Fugen und er gibt sich die Schuld. Oder den zwei Sekunden, die er nicht verhindern konnte. Wenn es sie überhaupt je gab. Wenn nicht überhaupt alles ganz anders war. Denn abwechselnd zur Byron-Handlung lesen wir von einem Erwachsenen, der viele Jahre in der Psychiatrie verbrachte und nun ganz langsam anfängt, sich ins normale Leben zurück zu tasten. Der immer wieder über Kleinigkeiten stolpert und der zwar Jim heißt aber wenig überraschend Byron war. Und wieder werden wird. Rachel Joyce hat es verstanden, ihren Überraschungsbesteller Die unwahrscheinliche Pilgerreise des Harold Fry fortzusetzen, ohne sich in Stil oder Stimmung zu wiederholen. Durch die Aufteilung der Hauptperson wird der Grundton dunkler, verzweifelter. Und weil die Heilungsgeschichte parallel zur Zerstörung erzählt wird, kommt sie einem auch gar nicht kitschig vor. Wing
Rachel Joyce: Das Jahr, das zwei Sekunden brauchte. Aus dem Englischen von Maria Andreas. Fischer Krüger, Frankfurt 2013, 431 S., 18,99
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