PROBLEME Alles was zählt Toni Jordans Liebesgeschichte einer Neurotikerin Grace Lisa Vandenburg hat eine Marotte. Oder auch nur die eigentümliche Angewohnheit, alles zu zählen, was ihr vor die Augen kommt. Und wenn möglich dafür zu sorgen, dass da zehn Tassen im Schrank stehen oder zehn Bananen im Einkaufswagen liegen. Das macht ihr Leben ein bisschen kompliziert, aber zum Glück lässt Toni Jordan die Heldin ihres Debütromans Tausend kleine Schritte (im Original zehnmal sinniger Addition) erstmal gut gelaunt davon berichten, wie übersichtlich die Welt wird, wenn man stets weiá, wieviele Schritte zwischen zwei Wänden liegen. Erst allmählich wird aus der seelischen Gehhilfe eine Behinderung. Da haben wir Grace längst als freche Frau kennengelernt, die oft an Sex denkt und der zu allem und jedem eine witzige Bemerkung einfällt. Sie leidet nicht mal darunter, dass sie wegen ihrer Auffälligkeit den Lehrerinnenjob verlor und sich mit Krankengeld und Nachhilfe durchschlägt. Bis eines Tages ein Mann in ihr Leben tritt. Der Märchenprinz wirkt ein bisschen arg ausgedacht, aber wir sind hier ja nicht in der Heilungsgeschichte einer echten Neurose, sondern in einer Liebesgeschichte, deren Erzählerin zufällig die Tochter von Rain Man und Monk ist. Der Mann drängt Grace zu einer Therapie, Grace medikamentiert sich und wird dicker, und Toni Jordan lässt in Grace auf einmal zwei Gehirne unabhängig voneinander denken. Das sorgt für komische Effekte und vermeidet zugleich jeden Ton von Betroffenen-Prosa. Selbsthilfe-Gruppen werden Tausend kleine Schritte trotzdem lieben, besonders weil Grace nach Behandlungs- und Beziehungsabbruch irgendwie dann doch noch die Kurve kriegen wird. Nicht zu einem Leben ohne Zahlen, aber zu einer flammenden Schlussrede über die Dinge des Lebens. Nicht der schöne Sonnenuntergang zählt, sagt sie, nicht der Augenblick, an dem dich zum ersten Mal ein Delfin berührte. Leben ist Kaffeekochen und Zähneputzen. Alles zählt. Himmel, bei jeder anderen wäre das Kitsch geworden. Wing
Toni Jordan: Tausend kleine Schritte. Aus dem australischen Englisch von Brigitte Jakobeit, Piper München/Zürich 2009, 272 S., 16,95
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