ANARCHY IN THE U.K.

Kurz, knapp und böse

Mit 30 Jahren Verspätung kommt B.S. Johnson auch auf Deutsch heraus.

Bryan Stanley Johnson war in den 60er und 70er Jahren in England berühmt, Samuel Beckett schätzte ihn sehr, ebenso wie Anthony Burgess, die Times verglich ihn vor drei Jahren noch mit Italo Calvino und wunderte sich, warum Johnson so vollkommen vergessen wurde.
Christie Malrys doppelte Buchführung spielt in einer Zeit, als "das System" noch der Feind war, in den frühen 70ern. Der Held Malry entdeckt für sein eigenes Leben die "doppelte Buchführung": was die Gesellschaft ihm auch böses antut (schlechter Lohn, zu viel Werbung, miese Laune des Chefs), es wird gnadenlos vergolten und buchhalterisch präzise notiert . Das beginnt mit einfachem Diebstahl und endet im Mord, wobei Malry kein schlechtes Gewissen hat, "Unschuldige" zu töten: eine Gesellschaft, sagt er, die derart gleichgültig mit dem Leben umgeht, wo es tragischer und teurer ist, wenn eine Maschine kaputt geht als wenn ein Mensch stirbt, soll sich über den Tod nicht so aufregen. Also vergiftet Malry das Trinkwasser in London und läßt mal eben 20.000 Menschen über die Klinge springen.
Christie Malry wäre nicht mehr als ein hedonistischer Flegel, würde seine Geschichte nicht von B.S. Johnson auf sehr ungewöhnliche Weise erzählt. Der Erzähler unterhält sich mit seiner Hauptfigur, führt den Roman als Mittel in die Geschichte ein ("Hatten Sie keine Zeit, sich gestern krankzumelden?" - "Nein, ging nicht, dies ist ein kurzer Roman"), erläutert den Bau von Molotowcocktails (Kapitelüberschrift: "Haltet England sauber oder: Werfen Sie diese Flasche nicht einfach weg"), läßt eine Figur mit der ausdrücklichen Begründung, sie sei im Roman jetzt überflüssig, einfach sterben, und warnt den Held 20 Seiten vor Buch-Ende, dass jetzt bald alles vorbei sei.
Johnson, der auch Gedichte, Essays und Dramen schrieb, experimentierte gerne mit der Form (es gibt von ihm einen 29-teiligen Roman, 25 Teile davon können in beliebiger Reihenfolge gelesen werden), er fand es albern, "nach Joyce so zu schreiben, als hätte Joyce nie geschrieben". Er war Sozialist, Anarchist, schwierig im Umgang und Bescheiden im Anspruch: "Vielleicht bin ich Schriftsteller, weil ich nichts anderes gut kann. Vielleicht kann ich nicht einmal gut schreiben, aber ich kann nichts anderes. Ich hab den einfachen Wunsch, mich selbst auszudrücken, egal ob mich andere lesen." 1973, als Christie Malry erschien, wurde Johnson von vielen gelesen und geschätzt. Im November des gleichen Jahres, mit 39 Jahren, hat Bryan Stanley Johnson sich umgebracht.
Alex Coutts
B.S. Johnson: Christie Malrys doppelte Buchführung. Vorwort von G. M. Oswald. Aus dem Englischen von Michael Walter. Argon, Berlin 2002, 223 S., 18,- EU