BIOGRAFIE

Genie mit Problemzone

Die autorisierte Lebensgeschiche des Apple-Erfinders Steve Jobs

Eine der faszinierenden Eigenschaften von Steve Jobs war die Fähigkeit, sich überall Feinde zu machen und Streit anzufangen. Er gründete Apple Computers - und wurde später von der eigenen Firma an die Luft gesetzt. Er machte Pixar zu dem innovativsten Trickfilmstudio seit Disney - und hinterließ eine erleichterte Belegschaft, als er sich von Pixar trennte und wieder zu Apple zurückkehrte. Enge Freunde fühlen sich von Jobs verraten, Manager und Firmenchefs mussten immer wieder miterleben, wie Jobs rüde oder gleichgültig unmanierlich andere Personen behandelte. "Das ist Mist!" war einer seiner häufigsten Kommentare, wenn seine Apple-Leute ihm ihre Ideen präsentierten. Es gab sogar mal einen firmenintern vergebenen Preis für denjenigen, der sich am besten gegen Jobs durchsetzen konnte; dass Jobs davon wusste und dass er das goutierte, ist eine andere Facette seiner faszinierenden Persönlichkeit.

Jobs war gut darin, ein Feld der Realitätsverzerrung zu erzeugen (wie seine Kollegen es nannten). In diesem Feld waren plötzlich Dinge möglich, die nach den üblichen Naturgesetzen unmöglich waren. Um solch ein rhetorisches Feld zu erzeugen, fälschte Jobs manchmal Daten und Fakten und log, dass sich die Balken bogen.

Aber er hat auch Apple, das damals nur 90 Tage vom Konkurs entfernt war, gerettet und in eine Weltmarke verwandelt. Er hat der Musikindustrie eine solide Plattform für digitale Musikverwertung geschaffen. Er hat Designer an Computern arbeiten lassen, damit die Rechenknechte endlich wie etwas aussahen, das man gerne auf dem Schreibtisch stehen hat. Durch Jobs Designlust und Präzisionswut wurden Cellphones wie Rechner plötzlich Objekte mit Charakter.

Diesem schwierigen wie bisweilen bösen Genie hat Walter Isaacson eine autorisierte Biografie gewidmet, die Jobs Problemzonen keinesfalls ausspart. Dass mit dem jungen Jobs kein Kollege arbeiten wollte, weil Jobs nichts von Körperhygiene hielt kommt ebenso vor wie die vielen Wutausbrüche, mit denen der Choleriker seine Untergebenen verschreckte. Aber das Buch ist natürlich eine einzige Huldigung jenes Mannes, der unser Leben nachhaltig veränderte und dessen nervende Beharrlichkeit und dessen Marotten immer wieder zu erstaunlichen Resultaten führten.

Jobs Genie ergibt sich aus der Summe der Teile: Weil er kein Detail außer Acht ließ, wurde das Ganze dann schließlich immer mehr als eine Ansammlung von Platinen, Schrauben und Plastik. Die Anordnung der Knöpfe auf dem Gehäuse war für ihn im Zweifelsfall wichtiger als die Rechenleistung des Inhalts. Trotzdem achtete er sogar auf das Design der Platinen, die außer den Service-Technikern nie jemand zu Gesicht bekäme. Er besorgte sich von Disney Geld um Toy Story zu finanzieren - und er schmiss Disney aus dem laufenden Vertrag, als er damit viel Geld verdiente. Er benutzte Menschen und umschmeichelte sie, er traf vollkommen wahnsinnige Entscheidungen (wie die Lackierung von Fertigungsmaschinen) und hatte keine Probleme damit, Entscheidungen zu korrigieren und damit manchmal wichtige Liefertermine in den Wind zu schießen.

Isaacson, der zuvor Biografien über Benjamin Franklin und Henry Kissinger geschrieben hatte, verbindet das Portrait dieses widersprüchlichen Mannes (der in Besprechungen zu weinen begann, wenn er sich nicht durchsetzen konnte) mit einer atemberaubenden Technologie- und Wirtschaftsgeschichte. Jobs, der nichts richtig konnte, außer zu nerven, war ein begnadeter Designer, ein hervorragender Manager, ein Marketingspezialist, dem niemand etwas vormachte. Als er seine Apple-Shops als kleine Konsum-Tempel einrichten ließ, prophezeiten ihm alle, dass er nach zwei Jahren die Shops werde schließen müssen, weil sich Einzelhandelsgeschäfte nicht lohnten, Jobs überwachte das Design jedes einzelnen Laden, ließ teuren Granit aus Italien für die Böden einfliegen, erwarb nebenbei zwei Patente für seine Treppenhaus-Gestaltung und kümmerte sich sogar um die Technik für die Kassensysteme. Heute gibt es weltweit über 300 Apple-Stores, und der in New York war 2010 der umsatzstärkste Laden der Stadt (in absoluten Zahlen!) und ist weltweit der erfolgreichste Shop, gemessen am Umsatz im Verhältnis zu den Quadratmetern.

Jobs, der persönlich bescheiden lebte, keine Villen oder Fahrzeugflotten besaß, weder Leibwächter noch persönliche Assistenten beschäftigte, starb am 5. Oktober 2011 an Bauchspeicheldrüsenkrebs. Seine letzten Worte sollen gewesen sein "Oh wow. Oh wow. Oh wow."

Erich Sauer
Walter Isaacson: Steve Jobs. Die autorisierte Biografie des Apple-Gründers. Aus dem amerikanischen Englisch übertragen von Antoinette Gittinger, Oliver Grasmück, Dagmar Mallett, Elfi Martin, Andrea Stumpf und Gabriele Werbeck. C. Bertelsmann 2011, 703 S., mit zahlr. Sw-Abb., 24,99