Monolog

Denkende Leute

Jess Jochimsen und das triste Leben

Wenn man sich etwas Zeit lässt, ist man in knapp dreißig Minuten durch. Das spricht erst einmal nicht gegen Jess Jochimsens neues Buch Was sollen die Leute denken. Der Text ist ein Monolog, den man sich genauso, wie er schwarz auf weiß vor einem liegt, in einem der abendfüllenden Programme des Stand-up-Comedians vorstellen kann. Wenn man ihn schon mal gesehen hat, kann man sich sogar genau vorstellen, wo er kleine oder längere Pausen macht, in denen er aufgepeitscht ins Publikum starrt, weil er gerade etwas sehr Richtiges gesagt hat, etwas, das Gehalt hat, etwas, das etwas anderes transportiert, eine kleine Wahrheit, einen winzigen Dorn, den uns der Alltag in die Niere rammt, um ihn schmerzlich zu spüren, genau den hat er gerade entdeckt und dem Publikum um die Ohren gehauen.

Worum geht es? Da ist einer, der will nicht mehr. Der hat keinen Bock mehr darauf, zu funktionieren. Sein Sohn wünscht sich einen Hund, bekommt aber nur den Rat, sich ein Hobby anzuschaffen. Seine Frau möchte irgendetwas verschönern, aber da macht er nicht mit. Er will aufhören, ein Selbstdarstellungsbeamter zu sein. Er will das nicht mehr.

Dagegen spricht, dass er einen Monolog liefert, in dem er genau das ist: Ein Selbstdarstellungsbeamter. Denn worüber er sich aufregt, das steht alles auf den Karteikarten, die in der deutschen Comedyszene die Runde machen. Jeder darf einmal abstempeln. Alles gut durchgekaut und mit Reizwörtern gespickt: Psychologen verstehen natürlich grundsätzlich alles falsch und deuten offensichtlichste Zeichen wie Grundschüler; natürlich fällt ihm auf, dass Kinder heutzutage so seltsame Namen wie Marvin-Malte und Emilia-Clara tragen und: Günther Jauch ist natürlich auch irgendwie nicht in Ordnung. Vielleicht muss jemand, der nicht mehr funktionieren will, sich an diesen oft gehörten Gaggrundlagen abarbeiten. Beim Lesen macht das keinen Spaß.

Jochimsen bemüht sich, jemanden zum Leben zu erwecken, der den Durchblick hat; einen, dem das trübe und triste Leben zu wenig gibt. Aber er schafft es auch nicht, eine Alternative anzudeuten. Muss er ja auch nicht. Kann er ja machen, wie er will.

Dann stellt sich allerdings die Frage, warum man das dann lesen soll. Wie schon erwähnt, es braucht nicht viel Zeit, aber vielleicht sollte man auch einfach mal anfangen, keinen Bock darauf zu haben, abgedruckte Stand-up-Nummern zu lesen. Live wahrscheinlich gut, auf Papier eher trist.

Sacha Brohm
Jess Jochimsen: Was sollen die Leute denken. dtv, München 2011, 79 S., 9,90