MÄDCHEN Wir Kinder aus Neukölln Wie der Abstieg in die Prostitution beginnt Jamuna ist sechzehn und lebt in Berlin-Neukölln. Sie ist eine gute Schülerin, schreibt gerne Gedichte und liebt einen Inder, der aber nur wenig Interesse an ihr zeigt. Ihr Vater, ein Libanese, wünscht sich ohnehin einen deutschen Freund für seine Tochter, er glaubt, Deutsche seien seltener kriminell und allgemein fleißiger. Als Jamuna ihren Vater zum Billardspielen begleitet, geht er mit 3000 Euro Schulden nach Hause. Weil sie sich verantwortlich fühlt, will sie ihm helfen und klaut das Geld ihrer Mutter, die in einer versteckten Kasse spart, um mit ihrem Lover durchzubrennen. Aber auch Jamuna überschätzt sich und lässt sich in der Bar zu einer Runde Billard überreden. Sie verliert, die Schulden steigen. Ihr Leben als normaler Teenager ist vorbei, um das Geld zurückzahlen zu können prostituiert sie sich. Dass Jamuna Devis Roman Jamuna autobiographisch ist, kann man vermuten, ist aber nicht eindeutig. Zweifelsfrei ist er eine prosaische Meisterleistung. Authentisch beschreibt sie das Leben eines Mädchens, das zum Opfer desinteressierter Menschen wird, die sie als Ware oder Last betrachten. In sachlicher Sprache berichtet die Ich-Erzählerin von den Taten, die Männer an ihr begehen und scheint dabei oft erschreckend abgeklärt: "Soll ich ihm sagen, dass es mein erstes Mal ist. Das macht ihn dann aber vielleicht besonders scharf. Und dabei zahlt er nicht mal einen Extratarif." Doch dann zeigt sie sich auch wieder als junges Mädchen mit Wünschen und Träumen, das hin und hergerissen ist zwischen Wut, Angst und Lebenslust. Jamuna erinnert an Wir Kinder vom Bahnhof Zoo, ohne Drogen, aber dafür mit mehr literarischem Geschick. Janne Hiller
Jamuna Devi: Jamuna. Eichborn, Frankfurt a. M. 2011, 156 S., 14,95
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