ITALIEN

Der kleine König

Aufsätze über Berlusconi und seine Wähler

Um ein Gefühl für Silvio Berlusconi zu bekommen, jenen ehemaligen Pausenclown für Kreuzfahrtdampfer, der es zum italienischen Ministerpräsidenten brachte, genügt es manchmal, sich Fotos von ihm anzusehen. Da sieht man einen maßlos eitlen, selbstgefälligen kleinen König, der von nichts auf der Welt so begeistert ist wie von sich selbst. Der Mann kann offenbar bewegungslos vor einem Spiegel sitzen und sich durch reine Selbstbetrachtung zum Orgasmus bringen.
Das ist noch kein politisches Urteil (weißgott nicht), aber der letzte ähnlich eitle Chef-Italiener war Mussolini. Anders als Mussolini hat Berlusconi allerdings den gesamten italienischen Medienapparat unter Kontrolle (gut 90% des Fernsehens und um die 30% jeweils von Presse und Buchverlagen gehören ihm oder werden von ihm kontrolliert), was für einen eitlen Menschen mit politischen Ambitionen mindestens eine große Versuchung darstellt.
Berlusconi und Italien - wie es dazu kommen konnte, versucht ein bei Wagenbach erschienenes Büchlein zu erklären, und die Art, wie dort Professoren, Literaten, Journalisten und Politiker die Lage beschreiben, erklärt fast das meiste: leidenschaftslos und beinahe weinerlich werden die Versäumnisse der Linken aufgezählt (vor allem was die Anti-Berlusconi-Gesetzgebung betrifft, die zur Zeit der Mitte-Links-Regierung ziemlich vermurkst wurde), da wird bis ins Detail geklärt, warum welcher Paragraph eines gescheiterten Gesetzes niemals so hätte formuliert werden dürfen ... und nur wenige haben überhaupt noch den Schwung, der grundsätzliche Misere auf den Grund zu gehen. Umberto Eco etwa, der sich mit der Volksverdummung durchs Fernsehen auseinandersetzt (und darin eine globale Entwicklung sieht: wer dem Volk Spektakel und "Ausländer raus!" verspricht, gewinnt künftig alle Wahlen). Oder der Regisseur Nanni Moretti ("Liebes Tagebuch"), dem die Abgeschlafftheit seiner Genossen sichtlich auf die Nerven geht. Oder der Satiriker Stefano Benni ("Terra!"), der in einer Kurzgeschichte die Biografien von Berlusconis Helfern vernichtend zuende denkt.
Was fehlt? - die Auseinandersetzung um die Besonderheit der italienischen herrschenden Klasse (im Kohl-geprüften und Möllemann-geschüttelten Deutschland wäre einer wie Berlusconi nicht möglich). Die Auflistung dessen, was Berlusconis Regierung bisher alles angestellt hat (viele Texte wurden vor der Wahl 2001 verfaßt), womit sie zum Teil noch die schlimmsten Befürchtungen übertraf. Und die sich immer mehr aufdrängende Frage, warum in einem sich einigenden Europa national immer mehr Knallköppe an die Macht kommen.
Thomas Friedrich
Berlusconis Italien - Italien gegen Berlusconi M.e. einführenden Text von Friederike Hausmann. div. Übersetzer. Wagenbach WAT Nr. 450, Berlin 2002, 186 S., 11,90 EU ISBN: 380324506