STREIT

Höre, Israel

Eine Diskussion mit vertauschten Rollen

Was bliebe eigentlich übrig von der nationalen Identität, wenn Israel nicht mehr von Feinden bedroht würde? Und umgekehrt: was bliebe von der "arabischen Identität", wenn Israel in Frieden mit seinen Nachbarn lebte?
Ist es ein Zeichen von Emanzipation, einen Nationalstaat zu fordern, wie die Palästinenser es tun? Ist Anti-Zionismus immer auch Antisemitismus? Und ist Israel ein "jüdischer Staat" oder einfach nur ein Staat, in dem viele Juden leben?
Über das komplizierte Verhältnis von Aufklärung und Judenhaß, islamischem Antisemitismus und jüdischer Araberverachtung diskutiert der "marxistische Jude" (Titeltext) und Historiker Moshe Zuckermann mit den deutschen Altlinken Hermann L. Gremliza, Thomas Ebermann und Volker Weiß. Wobei jeder vor seiner eigenen Tür kehrt: Zuckermann kritisiert Israel und seine Politik, die deutschen Publizisten haben sehr viel mehr Verständnis für Israel als für Deutschland und seine Deutschen.
Deshalb ist das ein spannendes, lehrreiches Gespräch auf allerhöchstem Niveau. Es beschreibt alltägliche Politik und schlägt den großen historischen Bogen bis zurück zu Treitschke. Es befaßt sich mit israelischer Geschichte (schon der erste Krieg 1948, sagt Zuckermann, war eigentlich für Israel nicht zu verlieren) und palästinensischer Gegenwart (von ihren arabischen Brüdern sind sie heftiger und blutiger verraten worden als von Israel, sagt Zuckermann). Die deutschen Befrager halten dagegen, dass israelische Besatzung humaner und emanzipativer sein kann als Freiheit unter arabischer Oberhoheit. Zuckermann sieht das nicht so. Er glaubt zwar auch, wie seine deutschen Genossen, dass der Nationalismus überwunden werden müsse. Dafür müsse man aber den Palästinensern erstmal einen eigenen Staat zum überwinden geben.
Es geht weniger um die Positionen als ihre Begründung. Auch wenn man sich oft nicht einig ist, respektieren beide Seiten die vorgebrachten Argumente und ihre persönliche Herkunft. Manches, sagt Zuckermann, würde er nur in einer inner-israelischen Debatte vorbringen, nicht in Deutschland.
Einig ist man sich über jene Linken, die seit 1968 Israel für die "neuen Nazis" hält, die unendliches Verständnis für palästinensischen Terror haben und ihren Antisemitismus hinter "antizionistischen" Parolen verstecken.
Zuckermann, früher selbst Zionist, hat für vieles Verständnis, aber hier stimmt er seinen deutschen Gesprächspartnern in ihrer Ablehnung zu: "Diese linken Antisemiten sind meine Todfeinde. Das sage ich auch aus persönlicher Enttäuschung."
Erich Sauer
Moshe Zuckermann: Zweierlei Israel? Auskünfte eines marxistischen Juden an Thomas Ebermann, Hermann L. Gremliza und Volker Weiß. Konkret, Hamburg 2003, 139 S., 12,- EU ISBN: 3930786397