SCHMÖKER

Der Buchmacher

Es fällt auf, daß John Irving nichts mehr einfällt

John Irving war ein guter Schriftsteller. Er hat mit Garp und wie er die Welt sah die Literatur ein bißchen verändert. Und mit dem New Hampshire Hotel hat er gezeigt, wie vielseitig einsetzbar seine Technik ist. Nur leider erzählt er das immer gleiche Buch seit knapp 20 Jahren immer und immer wieder. Er tut dies unterhaltender als andere. Aber inzwischen doch sehr auffällig. Der tragische Autounfall in "Garp", das kleine Mädchen aus dem "Hotel", die Liebe zwischen einer Frau und einem Jungen, die verkannte Liebe, die sich erst nach Jahrzehnten erfüllt, und das Bedürfnis aller Irving-Figuren, Schriftsteller zu werden (keiner von Irvings Helden kommt mit dem Leben davon, bevor nicht mindestens ein Buch geschrieben worden ist) - daraus backt der Hobby-Ringer Irving seine Romane - und in Witwe für ein Jahr, dem letzten Schmöker, ist das nicht anders.
Von den gut 700 Seiten des neuen Romans enthalten bestimmt 100 Inhaltsangaben der Romane, welche die Hauptfiguren geschrieben haben. Die Manie, seine Figuren durch das zu beschreiben, was sie geschrieben haben, war bei Irving schon immer zu finden. Aber nie hat er sie so ungehemmt ausgebreitet wie hier. Noch während die Hauptfigur Ruth vorgestellt wird erfahren wir in aller Breite, was in ihren ersten drei Romanen steht und was ihre beste Freundin Hannah davon hält. Als erzählerischer Kniff mag das für originell gehalten werden, künstlerisch ist es eine Bankrott-Erklärung.
Was Irving an Handlung vorantreibt, ist geradezu lächerlich. Seine Figuren reden, lesen, vögeln. Es geschieht ein Mord, der seltsam aufdringlich in diesen 700 leeren Seiten herumsteht. Die Langeweile, die sich hier ausbreitet, ist weniger der Tatsache geschuldet, daß Irving ständig fiktive Romane nacherzählt oder über das Lesen und das Schreiben an sich referiert, schlimm ist, daß er nichts zu sagen hat. Er hat keine Idee vom Schreiben, vom Erzählen, vom Lesen. Aber daß seine Hauptfigur einen wunderschönen Busen hat - das erfahren wir ungefähr 27 mal.
Alex Coutts
John Irving: Witwe für ein Jahr Aus dem Amerikanischen von Irene Rumler. Diogenes, Zürich 1999, 762 S., 49,90 DM