ZAUBEREI

Eine Liebe verschwindet

Martyn Bedfords magischer Liebes-Thriller »Houdini Girl«

Dieses Buch ist gebaut wie sein Inhalt: Es geht um Zauberei, um Magie auf der Bühne. Der eigentliche Trick besteht immer darin, die Leute dorthin gucken zu lassen, wo sie die Ursache für die Illusion vermuten - und wo sie garantiert nicht zu finden ist. Bei einem Kartentrick darfst du nie auf die eigenen Hände gucken, sagt Red, die Hauptfigur in Houdini Girl, weil das Publikum sonst auch dorthin guckt.
Martyn Bedfords Buch funktioniert genau so: man folgt der Hauptfigur, dem Ich-Erzähler, der als Magier "Peter Prestige" in England auftritt und in Oxford lebt - und merkt viel zu spät, dass es um etwas anderes geht.
Vordergründig geht es um Liebe und ihren Verlust. "Peter Prestige", auch "Red" genannt, lernt die verrückte Rosa an einem bierseligen Kneipenabend mit Freunden kennen. Zufällig sitzt sie ihm gegenüber. Zufällig vollführt er an ihr eine kleine Zauberei - zufällig zieht sie einen Tag später bei ihm ein. Peter ist mächtig verliebt.
Knapp ein Jahr später muß Peter Rosas Leiche identifizieren. Sie ist aus einem fahrenden Zug gesprungen oder gestoßen worden und von einem entgegenkommenden Zug getötet worden. Es war wohl ein Unfall. Aber wieso hatte Rosa bei ihrem Tod plötzlich kurzgeschorene Haare, kein Makeup aufgleget, und wo sind die 500 Pfund, die sie vor ihrem Tod von der Bank abhob?
Peter sitzt zu Hause und trauert. Er erinnert sich an die rüde Rosa ("Du bist voller Scheiße, Peter!" war ihr Lieblingsspruch), an sonntägliche Vögeleien, grandiose Besäufnisse, intime Momente voller Zärtlichkeit. Eines Abends wird Peter in seinem Haus überfallen. Und die Polizei ist jetzt sicher, dass Rosa ermordet wurde.
Beinahe jedes Kapitel beginnt mit der Beschreibung eines Zaubertricks (nicht mit dessen Erklärung!). Und Magier-Weisheiten. Etwa, dass es leichter sei, ein Publikum von Mathematikern 'reinzulegen als eine Horde Kinder. Und dass die klassische Beziehung "Magier - Assistentin" von einer seltsamen geheimen Lust durchdrungen sei, derzufolge der Magier seine Assistentin ständig fesseln oder scheinbar penetrieren müsse. Bedford erfindet dafür eine großartige pornografische Szene: in Amsterdam sieht Peter eine Hardcore-Zauberei, in der Magier und Assistentin nackt auftreten. Am Ende der Vorstellung tritt die Assistentin lächelnd und mit spermaverklebtem Gesicht vors Publikum. Peter ist angewidert.
Er reist dem Leben seiner Rosa hinterher. Es gibt fünf Jahre in Rosas Leben, über die niemand etwas zu wissen scheint. Je näher er dem Kern dieser Jahre kommt, desto mehr trauert er um Rosa. Und desto genauer spürt er den Bruchstellen ihrer Liebe nach. Als er Rosa einmal sagte "Ich liebe dich!", guckte die ihn nur an und sagte: "Du weißt ja nicht, was du da redest!"
Am Ende ist das "Houdini Girl" ganz etwas anders geworden, sowohl das Buch als auch Rosa sind geheimnisvoller und drastischer durchs Leben gezogen als erwartet. Die Magie, von der wir Leser uns die Rettung versprechen, schlägt auf den Magier zurück. Sie spielt im wirklichen Leben, dort, wo Menschen wirklich sterben, keine Rolle. Obwohl alles nach den gleichen Prinzipien abläuft: Guck nicht auf deine Hände, wenn du nicht willst, dass das Publikum auch dorthin sieht.
In diesem Sinne hat Bedford nicht nur romantisches, spannendes, trauriges und realistisches Buch geschrieben. Sondern auch ein magisches.
Thomas Friedrich
Martyn Bedford: Houdini Girl Aus dem Englischen von Matthias Müller. Argon, Berlin 2000, 352 S., 39,80 DM