SELBSTMÖRDER

Stilvolle Verzweiflung

Nick Hornby sucht in »A Long Way Down« den Sinn des Überlebens

Es fängt an wie eine Pizza von Harold Pinter, und es geht 342 Seiten lang weiter wie Camus in der Mikrowelle. Fix und lappig. Wobei man gerne auch "flapsig" mitdenken darf, denn A Long Way Down klingt ja doch irgendwie streetwiser als "Ein langer Weg nach unten". Da haben die Übersetzer klug gepasst, die ansonsten mit viel Mühe und Erfolg britischen Slang in deutschen verwandelten.
Also: Sylvester in London. Und Martin auf dem Dach. Er ist ein Arschloch, ein Frühstücksfernsehmoderator mit Dreck am Stecken, ein Selbstmordkandidat. Das erzählt er, aus einer offenbar geretteten und womöglich gereiften Später-Perspektive, dem Leser. Er steht auf einem Hochhausdach, willens, den kurzen Weg nach unten zu nehmen. Dann erzählt Maureen, eine ältliche Katholikin mit einem schwerbehinderten Sohn, von ihren Plänen, sich beim Leben nach dem Tode etwas vorzudrängeln. Die beiden geraten in ein herrliches Gehampel um eine Trittleiter, mit der man über die Dachabsperrung auf den Absprungsims klettern kann. Da platzt Jess dazwischen, eine liebeskranke Göre auf Ex, die sich an diesem Abend einfach nicht vorstellen kann, am nächsten Morgen noch mal aufzuwachen. Und alle drei Existenz-Krisen wollen nicht Schlange stehen, bis sie dran sind. So stößt JJ dazu, gescheiterter Rock-Musiker, jetzt Lieferjunge mit End-Dive-Absicht, und fragt: "Hat hier jemand eine Pizza bestellt?".
Allein für die erste Szene kaufte Johnny Depp Nick Hornby die Filmrechte ab. Die Szenen danach werden im Kino sicher klug gekürzt, denn die existentialistische Groteske zieht sich nun doch sehr. Die vier Personen beschließen, ihr Ableben noch etwas aufzuschieben. Weiter aus wechselnden Perspektiven erzählend, suchen sie ein bisschen Sinn im Leben, und sei es in dem der anderen. Und sie geben ihrem Autor Gelegenheit, die routinierte Bonmot-Maschine rattern zu lassen. Stilvolle Verzweiflung, ironisches Entsetzen, Ernst mit einem Grinsen ... sowas kann Hornby gut. Das Personal zu einem echten Stoff zu verschlingen, versucht er gar nicht erst. Die Redeweise der vier Erzähler unterscheidbar zu halten, gelingt ihm sicher. Mit den Charakteren hapert es dagegen, weil alle, wohl mit Absicht, zu viel Hornby enthalten, den autobiografischen und den literarischen.
Aber ein Buch ist ja nicht schlecht, bloß weil es kein Meisterwerk ist; es sei ein Fehler, bedeutend sein zu wollen, heisst es irgendwo im Buch. Und sich vom Dach zu schmeissen, bloß weil es nicht klappt. Trotzdem: als Theaterstück wäre A Long Way Down sicher bedeutender. Und kürzer.
WING
Nick Hornby: A Long Way Down. Aus dem Englischen von Clara Drechsler und Harald Hellmann. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2005, 342 S., 19,90 ISBN: 3462034553