HONGKONG
6 Millionen Sekunden Thriller in einer Stadt der letzten Tage Nach dem 30. Juni 1997 wird die Stadt Hongkong und das sie umgebende Hinterland den Festlandchinesen gehören (ob man dazu "wieder" sagen sollte, ist eine historisch diffizile Frage). John Burdetts Thriller Die letzten Tage von Hongkong behandelt einen vorerst nur sehr brutalen Kriminalfall und landet ganz schnell inmitten politischer Verwicklungen. Die Briten wollen in den letzten Monaten ihrer Kolonial-Herrschaft weiß Gott keinen Ärger mehr, die Kommunisten haben sich längst in alle wichtigen Umternehmungen Honkongs eingekauft, die verschiedenen Gauner-Gruppen, die Triaden, stellen sich auf die neuen Verhältnisse ein. Zwischen ihnen agiert Chief Inspektor Chan, halb Ire, halb Chinese, ein Polizist mit einer Aufklärungsquote von 90 Prozent. Und gerade weil er so gut ist, wollen ihn seine britischen Vorgesetzen bremsen. Um ihn zu schützen. Oder auch nicht. Wer was mit wem aushandelt und dealt, wird im Laufe der Geschichte immer mehr zum Thema, weshalb Die letzten Tage von Hongkong (O-Titel: The Last Six Millions Seconds) kein Thriller ist, der seine Spannung aus Action, Prügeleien und Verfolgungsjagden bezieht. Die Intrigen der Politik und des Kapitalismus sorgen für Spannung - und für erheblich mehr Tote und Leid, als ein gewöhnlicher Verbrecher in einem Roman zustande zu bringen wäre. In Hongkong, so Burdetts trauriges Resummee, ist längst alles verkauft, aufgeteilt, verschachert. Die Briten werden am 30.7. abziehen, die neuen Machthaber werden einen Paravent vor der Stadt aufstellen, hinter dem sie, wie üblich unbehelligt, ihre Verbrechen begehen können. Burdett, der in den 80ern für die Briten in Hongkong als Anwalt arbeitete, liebt diese Stadt sehr. Und er gibt sich redlich Mühe zu verstehen, warum die Bewohner von Hongkong die drohende, absehbare Katstrophe so gelassen erwarten. Vielleicht, sagt eine seiner Figuren, interessiert sich der Rest der Welt nicht für uns, weil wir uns nicht genug für uns selbst interessieren: Eine Gesellschaft, in der Anonymität zu den Vorraussetzugnen ihrer Existenz gehört, kann sich nicht für das Einzelschicksal interessieren. Und vielleicht, so Burdett in seinem Roman, ist ja der westliche Glaube, alle Gesellschaften müßten irgendwann in der Demokratie enden, in großer Irrtum. Vielleicht ist der chinesische Despotismus die kommende Gesellschaftsform. Daß und wie dieser Despotismus sich hervorragend mit dem westlichen Kapitalismus verträgt und versteht (und vice versa), gehört zu den feinen und deprimierenden Beobachtungen dieses Thrillers. Gemeinsam mit der unglaublichen Brutalität, die immer wieder aufblitzt, sorgt diese Erkenntnis für die deprimierende Spannung dieser Geschichte. Ein Jahr früher, im Jahr 1996, spielt Paul Theroux' Kowloon Tong, ein für Threoux' explizit böser Roman über Englands Abschied von Hongkong. Fast allegorisch angelegt, erzählt der Roman von einem typisch englischen Geschäftsmann in Hongkong, den nackte Gewaltdrohungen durch die zukünftigen Machthaber sowie seine ebenso primitive wie geldgeile 70jährige Mutter dazu bringen, alles und jeden zu verraten: er verkauft seine Fabrik und seine Freunde, seine Heimat und sein Selbstbild, nur um am Ende ein bißchen reicher und inenrlich gebroche gemeinsam mit Mama nach London fliegen zu können. Kowloon Tong ist in vielen Details Buretts Roman innerlich nahe, betont jedoch mehr den rassistischen Apsekt der britischen Kolonialherrschaft, ist andererseits der scheinbar unpolitischere Roman, weil er eine Mutter-Sohn in den Vordergrund stellt. Erst wenn man diese Geschichte auf die Idee der Kronkolonie Hongkong projiziert und wie Mrs. Thatcher eine ganze STadt verschenkte - für einen billigen Vorteil - wird Kowloon Tong ein bemerkenswertes Buch. Dann enthüllt es die ganze Bitterkeit eines Autors, der viel in Asien gereist ist und oft in Hongkong gewesen ist. Und der, wie Burdett, die chinesische Volksarmee für eine riesige Mafia hält, der man eine Stadt auf dem Präsentierteller überreicht. Alex Coutts
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John Burdett: Die letzten Tage von Hongkong. Aus dem Englischen von Sonja Hauser. Malik bei Piper, München 1996, 487 S., 42,- DM Paul Theroux: Kowloon Tong. Aus dem Amerikanischen von Erica Ruetz. Hoffmann & Campe 1997, 254 S., 38,- DM |