SELBER DENKEN
Der lesende Arbeiter Gedanken und Ansichten des Eric Hoffer Wir wissen nicht, ob Brecht ihn kannte. Geschätzt hätte er ihn eher nicht. Denn zwar ist Eric Hoffer ein hervorragendes Beispiel für einen lesenden Arbeiter - aber auch sind seine Bücher eher konterrevolutionär; interessant - aber ideologisch bedenklich, immer gut für ein knackiges Freigeist-Zitat - aber im Grunde dann doch etwas zu lückenhaft zusammengelesen. Wer erbaute das siebentorige Theben? Eric Hoffer, 1902 in Boston geboren, zeitlebens ohne Schulbildung, bis in die späten 60er als Erntehelfer und Schauermann in den Staaten und den öffentlichen Bibliotheken unterwegs ... so erschuf sich Amerika den ersten Straßen-Philosophen. 1951 erschienen die Notizen seiner Wanderjahre als The True Believer, 1965 schon kam das als Der Fanatiker auf Deutsch heraus, das Hauptstück der um kleinere Texte erweiterten Neuausgabe. Eric Hoffer analysiert darin Motivation und Methoden moderner Massenbewegungen als persönliche Schicksalsmacht: tief enttäuschte, machtlose Individuen fallen auf Heilsversprechen hinein und sind bereit, für die gute Sache zu töten und zu sterben, weil sie sich eigentlich eh vor sich selber ekeln. Die Intellektuellen, ganz besonders frustriert über die Welt und ihre mindere Rolle darin, veredeln ihren Hass zur Doktrin - und ein Tatmensch, oft künstlerisch gescheitert, wandelt die Lehre um in eine "Zuflucht vor den Ängsten, der Unfruchtbarkeit und Bedeutungslosigkeit der individuellen Existenz." Und wenn man sie rechtzeitig stoppt, kann dergleichen Aufbegehren dekadente Demokratien kreativ umrühren. "Es berührt uns seltsam, dass die Welt in dieser Krankheit der Seele zugleich ein wunderbares Werkzeug erhielt, Völker zu erwecken - ein Instrument der Auferstehung." Hoffer = Nietzsche geteilt durch Camus? In den 60ern, längst als populärer Privatgelehrter an Unis und bei TV-Shows beschäftigt, wandte sich Hoffer zunehmend heftig gegen die Aufrührer der Bürgerrechtsbewegung, der Schwarzen, der Anti-Vietnam-Front ... Mit (oh, wie un-p.c., aber wahr) zum Teil klugen Argumenten, und immer gezielt auf die Wortführer, nie auf die Mitglieder. Der Intellektuelle als Klasse ist ihm der Feind, einzelne Intelligente wurden Hoffers gute Freunde. Aber die Hafenarbeiter blieben seine geistige Heimat. Ökonomische Zusammenhänge, historische, soziale ... seine Pioniergesellschaft steht über derlei Europazeugs, "nur dein Geschmack entscheidet" ... Einen haltbaren Beitrag zur Theorie der Massenbewegungen leistet Hoffer damit nicht - aber er liefert ein Beispiel dafür, wie fruchtbar undiszipiliniertes Denken sein kann. Der Fanatiker und seine Begleitwerke sind eher Aphorismensammlung als Analyse; aber als solche mit Gewinn zu lesen. Man sollte sich die Arbeit machen. WING
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Eric Hoffer: Der Fanatiker und andere Schriften. Aus dem Englischen von Christoph D. Maucy, Wolfram Wagmuth und Wolfgang Heuer. Mit einem Nachwort von Wolfgang Heuer. Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 1999, Die Andere Bibliothek 310 S., 49.50 DM |