ESO-THRILLER

Super-Clown

Peter Hoegs fantastischer Schmarren »Das stille Mädchen«

Die Kritik ist, in Deutschland und in Dänemark, weithin einstimmig entsetzt, das Publikum kauft aber ziemlich einmütig wie verrückt: Peter Hoeg hat, 15 Jahre nachdem sich Fräulein Smillas Gespür für Schnee vom Geheimtipp zum Hollywood-Wunder entwickelte, wieder einen Bestseller. In dem geht es um eine Art philosophisches Gehör, um den Weltuntergang am Beispiel Kopenhagens, die Rettung unschuldiger Kinderseelen per Ufo und vermutlich noch um sehr viel mehr, wenn man es denn nur verstünde. Oder wenigsten der Handlung folgen könnte.
Die beginnt mit Kasper Krone, der intuitiv die Wesens-Tonlagen erfasst, auf die Menschen und Situationen gestimmt sind. Manchmal kann er auch einem Telefongespräch entnehmen, ob vor dem Fenster des Anrufers etwa eine Ampel steht. Das hilft bei der Thriller-Komponente des Buchs, das viele Aufspür-Episoden enthält. Meistens erläutert der Held allerdings Seelenlagen mit Erinnerungen an allerlei Bach-Kantaten, was tiefer klingt als es ist.
Außerdem ist Kasper ein berühmter Clown, ein ehemals erfolgreicher Poker-Spieler und jetzt scheinbar ein Kindertherapeut. Ihm wird ein Mädchen zugeführt, das als Seelenklang die reine Stille hat. Kasper ist fasziniert. Und als ihm das Mädchen zuraunt "Ich wurde entführt" beißt Kasper an. Statt zur Polizei zu gehen, die ihn wegen unklarer Steuerschulden sucht, sammelt er eine Ex-Geliebte und einen religiösen Taxi-Fahrer ein, um das Geheimnis des immer wieder rätselhaft auftauchenden Mädchens zu lösen.
Es wimmelt von Film-Szenen mit starken Auftritten und Abgängen ohne Zusammenhang. Fiese Staatsmächte und starke Frauen, erlösungssuchende Verbrecher und lange Fahrten über den Kopenhagener Stadtplan machen die Jagd immer undurchsichtiger.
Vor allem, weil die Stadt so seltsam ist. Sie ist durch eine unerklärte Naturkatastrophe halb im Wasser versunken, überall wirkt eine undurchsichtige, mächtige Zirkus-Bürokratie, jeder zweite, dem Kasper begegnet, betet. Und man weiß einfach nicht, ob hier ein verarmter James Bond einen evangelischen Heinrich Böll trifft oder ob der Action-Tiefsinn-Ton nur ein Effekt der verschachtelten Erzählweise ist, die lauter "große Momente" für die Verfilmung und "poetische" Einsprengsel für Leser ("Seine Augen waren schwarz. Aus Erfahrung.") in verschiedenen Zeitebenen aufhäuft.
Kasper findet das Mädchen. Kasper wird auf dem Weg dahin schwer lädiert. Kasper fährt am Ende womöglich in den Himmel auf. Aber muss das 460 Seiten dauern?
Sicher nicht. Die gekürzte Hörbuch-Fassung, die parallel zum Roman erschien, kommt mit 6 CDs und knapp 8 Stunden Spielzeit aus. Die Vorlesung wirkt etwas weniger pathetisch als das Buch, dafür verliert man den dünnen roten Faden ohne Zurückblättern noch schneller aus dem Blick. Am schlimmsten aber: Das stille Mädchen hat keinen eigenen Klang, es tönt nur bedeutsam. Jeder Posaunenchor ist weltlich angenehmer und jenseitig transzendenter als Hoegs Kasperei mit dem dänischen Super-Clown.
WING
Peter Hoeg: Das stille Mädchen. Aus dem Dänischen von Peter Urban-Halle. Hanser, München 2007, 460 S. 24,90 / Hörbuch, gelesen von Max Volkert Martens. München, Hörverlag 2007, 29,95