HITCHCOCK
The Wrong Man
Noch eine Biographie über den Regisseur ohne Unterleib
Man soll nicht alles glauben, was Alfred Hitchcock über sich selbst erzählte - erzählt Enno Patalas gleich zu Beginn; zu genau wußte der erste richtige Star-Regiesseur, wie man eine Pointe setzt; wie man den eigenen Bauch verkauft, Gefühlsregungen als Kalkül tarnt, oder mit einem früh erloschenen Sexualleben kokettiert (zeitlebens bloß 1 Frau und 1 Tochter).
Aber man soll auch nicht alles glauben, was über Hitchs Komplexe zusammenpsychologisiert wird - schimpft Enno Patalas im Anhang über die "große" Donald Spoto-Biographie ("dumme Rechthaberei"). Und man muß auch nicht alles lesen, was im Jubiläumsjahr neu über den Regisseur mit der schon zu Lebzeiten umfangreichsten Sekundärliteratur geschrieben wurde. Aber Patalas' Porträt kann man nur weglassen, wenn man mindestens Francois Truffauts Groß-Interview mit dem Meister auswendig kennt. Und die, auch mit Patalas Hilfe, vervollständigte und opulent illustrierte, Neuausgabe von Mr. Hitchcock, wie haben sie das gemacht? (Diana-Verlag, München, 68.- DM) schon gekauft hat. Das ist "das" Hitch-Book überhaupt.
Patalas' Porträt ist ein guter Ersatz für die ca. 3000 anderen. Besonders für die oft vergessenen frühen Jahre. Wie Hitch als Bühnen-Architekt anfing, wie er Experimente mit den Stummfilm-Zwischentiteln machte, wie er deutsche und englische Versionen parallel ... und in 10 Jahren so über 30 Filme drehte. Alles sehr informativ - aber wenig biographisch. In der zweiten Hälfte des Buches (ab 1939, Hitch wird 40 und erobert Amerika) kommt das Leben zwischen den Filmen auch kaum vor.
Dafür springt der Kenner motiv-geschichtlich zwischen den Werk-Epochen herum, erklärt künstlerische Entscheidungen mit ökonomischen Umständen ... und ist überall Filmhistoriker, nicht Biograph. Die privaten Belange werden eher zufällig eingestreut (Hitchs Wechsel etwa zwischen strengen Diäten und unmässigem Wodka-Konsum) - und möglichst gleich wieder zu Film-Anmerkungen umgebogen. Wie bei seinem Auftritt als Schlankheitsmittel-Reklame in Lifeboat. Die nicht-filmischen Aktivitäten (Hitch war z.B. ein großer Sammler von Weinen, Brandys und Kunst) kommen zu kurz - oder fallen ganz weg (Hitch war ein persönlicher Feind von Hollywoods 40er-Jahre Star-Psychoanalytikerin). Ein gutes Buch - aber in der falschen Reihe; viel über Hitchcock als Regisseur, zuwenig als Alfred.
Aber das hätte der wohl so gewollt. "Wie fühlt man sich, wenn man mit 76 aufwacht und bemerkt, daß man Alfred Hitchcock ist?" fragte ein Reporter ihn zu seinem letzten Film Familiengrab - Antwort: "Wenn der Film geht, fühlt man sich gut, wenn er nicht geht, fühlt man sich elend."
WING
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