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Clan der Kerle
Ayaan Hirsi Alis Aufsatzsammlung »Ich klage an«
Apropos dumme Deutsche: In plumper Anlehnung an das Berühmte "J'accuse!" wurde aus dem originalen "De maagdenkooi" (Der Jungfrauenkäfig) das dümmlich-platte Ich klage an. Dabei ist "Der Jungfrauenkäfig" einer der zentralen Aufsätze dieses Buches, in dem Ayaan Hirsi Ali die repressive Sexualmoral des Islam beschreibt. Eine Gesellschaft, in der das Jungfernhäutchen im Mittelpunkt der Familienehre steht, unterdrücke nicht nur Frauen, sondern produziere auch dumme Machos. Im Fußnotenapparat zitiert Hirsi Ali den Sprecher des türkischen Justizministeriums, Professor Dogan Soyasian, der vergewaltigten Frauen rät, ihren Vergewaltiger zu heiraten; bei einer Massenvergewaltigung sieht allerdings auch Professor Soyasian Probleme, da der Ehemann seine Frau dann für unehrenhaft halten würde.
Diese verlogene, gewalttätige Männermoral des Islam hat Ayaan Hirsi Ali am eigenen Leibe erlebt, als Mädchen in Somalia und Kenia, auch in den Niederlanden (wohin sie floh, als sie zwangsverheiratet werden sollte), wo sie bereits vor ihrem Film Submission 1 Personenschutz brauchte - eben wegen solcher Aufsätze wie "Der Jungfrauenkäfig".
Ich klage an enthält Aufsätze und Interviews der letzten drei Jahre, vieles darin wiederholt sich (redigiert eigentlich niemand mehr solche Bücher?), manches ist sehr spezifisch auf die Probleme in Holland zugeschnitten, wo spätestens seit der brutalen Ermordung von Theo van Gogh, dem Regisseur von Submission 1, die Auseinandersetzung eine andere Qualität hat als hier.
Ayaan Hirsi Ali kritisiert den Islam als frauenfeindliche, reaktionäre Hirtenreligion, die Ursache für die Rückständigkeit der islamischen Welt sei. Aber sie legt sich auch heftig mit all jenen an, die muslimischen Gemeinden im Westen Sonderrechte einräumen wollen, da man in eine fremde Kultur nicht einzugreifen berechtigt sei. Frau Hirsi Ali findet, dass dieses Argument spätestens bei Genital-Verstümmelung, Vergewaltigung und Mord sein Ende finde.
Obwohl sie den Islam - wie eigentlich jede Religion - ablehnt und selbst nicht gläubig ist, setzt Ayaan Hirsi Ali ihre ganze Hoffnung auf einen "Voltaire des Islam", auf einen Aufklärungsschub innerhalb der Religion. Sie wünscht sich einen Film wie "Das Leben des Brian" mit Mohammed in der Hauptrolle, kurz: einen aufgeklärten Islam.
So sehr ihr Kampf und vor allem ihr persönlicher Mut zu bewundern sind: mit dieser rührenden Hoffnung vertraut Frau Hirsi Ali etwas naiv auf die Macht des Wortes. Die christliche Reformation begann schließlich nicht, weil Luther so ein kluger Kopf gewesen wäre, sondern weil ein paar deutsche Fürsten vom Papst die Nase gestrichen voll hatten.
Hirsi Alis Kampf gegen westliche Ignoranz, die unter dem Vorwand der Toleranz die Unterdrückung der Muslimas duldet, präsentiert sich in diesem Buch provokant, glaubwürdig und unverdächtig (und äußerst pragmatisch: es gibt einen sehr guten 10 Punkte-Ratgeber "Wie fliehe ich von zu Hause"). Dass sich rassistische Organisationen begeistert an ihre Fersen heften, ist nicht ihre Schuld. Dass auf ihrer Website Artikel des Berliner Revanchismus-Blättchens "Junge Freiheit" zitiert werden, schon. Andererseits: selbst der Vorzeige-Sozi Peter Glotz gibt denen inzwischen Interviews...
Erich Sauer
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 Ayaan Hirsi Ali: Ich klage an. Plädoyer für die Befreiung der muslimischen Frauen Aus dem Niederländischen von Anna Berger, Jonathan Krämer. Piper, München 2005, 214 S., 13,90 ISBN: 3492047939
Ayaan Hirsi Ali: Itham Ediyorum. Müslüman Kadinlara Baski Bitsin. Piper, München 2005, 214 S., 13,90 ISBN: 3492048366 (ayaanhirsiali.web-log.nl / unter ayaanhirsiali.web-log.nl/log/2292608 ist "Submission 1" als Videostream zu sehen)
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