Emigranten Republik Sarajevo Zwischen Bosnien-Herzegowina und den USA: Aleksandar Hemon erinnert sich an die 90er Die Serben haben Sarajevo, die Multikulti-Metropole Bosniens, in den 90ern zu Klump geschossen. Materiell ist das an den vielen ausgebombten Häusern zu sehen, den Einschusslöchern in den Häusern (das kann man heute immer noch im gesamten Kriegsgebiet Jugoslawiens besichtigen), spirituell, indem die friedliche Gemeinschaft von Kroaten, Serben und Muslimen auseinanderbrach. Weil niemand sonst half, eilten in den 90ern muslimische Hilfstruppen nach Bosnien. In Sarajevo finanzieren jetzt die Saudis Moscheen und Bildungszentren und haben das Stadtbild nachhaltig verändert. Kurz vor Kriegsbeginn konnte Aleksandar Hemon Sarajevo verlassen. Das Buch meiner Leben enthält Essays über seine Zeit dort und seinen Versuch, in Chicago eine neue Heimat zu finden. Fern aller Sentimentalität und doch voller Wärme erzählt er von den Weihnachtsfesten seiner großen Sippe, dass "Privatsphäre" ein Wort sei, das es im Bosnischen nicht gebe, und wie sehr sich das "Dorf" Sarajevo von der kalten Großstadt Chicago unterscheidet. Als Kolumnist einer Jugendzeitschrift reportierte er aus der "Republik Sarajevo", wie er sie nannte, in ihren Eigenheiten mehr einem Staat als einer Stadt gleich. Hemon lebt heute in Chicago und fühlt sich dort wohl. Seine Beschreibungen der Stadtviertel und der extremen klimatischen Verhältnisse nahe der kanadischen Grenze sind von großer Zuneigung geprägt. Eine seiner Geschichten (die zum Teil schon vor fünf Jahren woanders erschienen sind) handelt von seinem Professor, der ihm die Liebe zur Literatur beigebracht hat, und den Hemon zu Kriegsbeginn als Berater an der Seite des irren Mörders Karadzic wiedersieht. Hemons Verdikt über den humanistisch gebildeten Berater des Mörders fällt härter aus als jenes, das Alfred Andersch einst über den Vater Heinrich Himmlers in Der Vater des Mörders traf. Hemon freut sich, dass sein Professor sich nach Kriegsende selbst das Hirn aus dem Schädel schoss. Wenn er heute Sarajevo besucht, schreibt Hemon, besucht er eine Erinnerung. Seine Heimat ist in Chicago. Seine Eltern hingegen, die ein Visum für Kanada erhielten, hadern noch heute mit dem Schicksal. Sie leben immer noch in der Erinnerung an eine Zeit, als alles nicht gut, aber besser war. Nach den Geschichten Hemons kann man das nachvollziehen. Thomas Friedrich
Aleksandar Hemon: Das Buch meiner Leben. Aus dem Amerikanischen von Matthias Fienbork. Knaus, München 2013, 223 S., 19,99
|