MANN & FRAU
Angst vor Liebe Yael Hedayas melancholischer Liebesroman Die Frau trifft sich mit einem jungen Rechtsanwalt. Der ist so blass wie seine Möbel und so ordentlich wie seine Wohnung. Er küsst sie kurz auf den Mund, streift sich virtuos ein Kondom über und rammelt los. Dann trifft die Frau sich mit einem geschiedenen Kunstmaler. Der stinkt aus dem Maul, schnorrt Zigaretten, lästert über seine Ex-Frau und legt sich einfach auf den Rücken, um sich einen blasen zu lassen. Die Frau denkt an den Rechtsanwalt und an den Kunstmaler und erkennt, dass die beiden Kerle nicht, wie sie zunächst annahm, zwei Extreme der Spezies Mann darstellen, sondern dass sie "zwei entgegengesetzte Versionen desselben Extrems" waren. Danach kann es eigentlich nur besser werden. Die Frau beschließt, ein "blind date" zu wagen. Sie trifft einen Mann. Der ist nett. Gemeinsam finden sie vor dem Haus der Frau einen jungen Hund, einen Straßenköter. Sie nehmen ihn mit in die Wohnung der Frau. Der Hund und der Mann bleiben länger. Yael Hedayas kurzer Roman über die Liebe ist so traurig und trocken wie das Ende der Liebe. Liebe pur wird aus drei Perspektiven erzählt: der der Frau, der des Mannes und, durchaus gleichberechtigt, der des Hundes. Dass nichts davon lächerlich oder abgeschmackt wirkt, ist eine der größten Leistungen des Buches. Der Status des Hundes beschreibt den Verlauf der Liebe. Am Anfang gehegt und gepflegt, wird er zum Mittelpunkt des Lebens, später grausam gequält, dann vor die Tür gesetzt, was ihn bösartig und feige werden läßt. Die Perspektive des Hundes - die keine Ich-Perspektive ist, die Erzählerin verliert nie ihre Distanz zur Geschichte - ist die der Liebe, die nichts versteht und alles erdulden muss (und, Frau Hedaya hat einen guten Humor: die vor allem nur eines will: Fressen!). Liebe ist Streiten: "Ich dachte, unsere Beziehung kommt aus, ohne ständig aufzurechnen", sagte der Mann, und die Frau rief aus: "Ohne aufzurechnen? So etwas gibt es nicht. Alle rechnen auf, ständig und alles. Ein Leben lang." Liebe ist Ringen um Macht: "Dann stand er eine gute Stunde im Stau und nutzte die Zeit, um darüber nachzudenken, wie er der Frau die Geschichte verklickern könnte, dass sie keinen Sieg, auch keinen indirekten, für sich verbuchen konnte, obwohl er keine Ahnung hatte, ob die Frau genau wie er täglich Machtbilanzen erstellte." Paare besuchen sich gegenseitig, veranstalten üppige Mahlzeiten, um in weinseligen Nächten im Verhalten des anderen Paares ihr eigenes Elend zu erkennen. Nichts Grosses passiert. Alle haben angst davor, dass Grosses passieren könnte, etwa dass die Liebe vollständig von ihnen Besitz ergreifen könnte. Und obwohl der Mann und die Frau - ihre Namen erfahren wir nie - sich nichts anderes wünschen als die grosse, endgültige Liebe, würgen sie durch ihr Mißtrauen diese Liebe ganz langsam ab. Am Ende sind sie wieder alleine. Nach der Liebe ist nichts gewonnen. Darüber hat die in Tel Aviv lebende Autorin einen - hier ist das Wort angebracht: herzzerreißenden und dabei wohltuend unsentimentalen Roman geschrieben. Victor Lachner
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Yael Hedaya: Liebe pur Aus dem Hebräischen von Ruth Melcer. Diogenes, Zürich 2000, 210 S., 29,90 DM |