NACHDENKEN

Angriff der Gegenkultur

Zwei Kanadier räumen mit dem Mythos der "Gegenkultur" auf

Einerseits könnte der Kampf gegen Ungerechtigkeit darin bestehen, für gerechte Löhne, Krankenversicherung und Arbeitszeiten einzutreten. Andererseits mag das alles sinnlos sein, weil "das System" sowieso nichts als Ungerechtigkeit hervorzubringen imstande ist. Also muss eigentlich erst das Bewusstsein über "das System" verändert werden, bevor wir alle glücklich und zufrieden sein können. Bis dahin hören wir geile Musik, tragen rebellische Klamotten und verachten jene, die ihre innere Leere durch übersteigerten Konsum auszufüllen versuchen.

Solche Anfälle von Gegenkultur sind fester Bestandteil der jüngeren Kulturgeschichte. Sie manifestierten sich in der Hippie-Bewegung, der RAF, zuletzt und anfänglich in der Friedens- und Ökobewegung.

Dass solche Rebellion ihren Reiz und ihren Charme hat, stellen die beiden Kanadier Joseph Heath und Andrew Potter in ihrem Buch Konsumrebellen fest, das vor fünf Jahren erstmals erschien und jetzt noch einmal aufgelegt wurde. Die Mühen der Ebene werden hier nicht zum ersten Mal beschrieben, dafür aber sehr witzig: "Die Herstellung großer Koalitionen erfordert ständig Kompromisse und Diskussionen. Kulturelle Politik ist demgegenüber viel witziger. Guerillatheater zu machen, in einer Band zu spielen, Avantgardekunst zu fabrizieren, Drogen einzunehmen und sich durch die Betten zu jagen ist natürlich spannender als jedes Gewerkschaftertreffen." (Man merkt, der Tonfall wird mitunter säuerlich. "In einer Band spielen" = Drogen nehmen und polymorv pervers sein - die Herren, einer Philosophieprofessor, der andere Dozent für Ethik, sind halt über vierzig.)

Sicherheitshalber machen die Herren unter ihrer These alles nieder, was irgendwie als "Gegenkultur" durchgehen könnte, von Michael Moore über Star Trek, von American Beauty bis Naomi Klein. Das war sicherlich fällig und ist oft witzig. Leider nehmen es die Herren mit den Argumenten nicht so genau. Aus Michael Moores Bowling for Colombine destilieren sie die Aussage, dass es vollkommen egal sei, wie locker Waffengesetze seien. Star Trek wird zur Modenschau der Trostlosigkeit, weil alle immer die gleichen öden Klamotten tragen (schon mal Lwaxana Troi oder Keira Nerys begegnet, meine Herren?), und "die Hippies" werden als einzig wirkungsmächtige Bewegung der 60er präsentiert, und ihr einziger Denker war Abbie Hofman.

So hat Konsumrebellen seine Meriten, weil es darauf aufmerksam macht, dass die "kulturelle Revolution" eigentlich nur eine Erfindung der Pop-Kultur ist (die seltsamerweise in diesem Buch nie so genannt wird) und dass Konsum kein Ausdruck von fehlendem Bewusstsein ist (wobei das Gegenteil eben auch nicht richtig ist).

Insgesamt wird aus dem drolligen, über weite Strecken sehr witzig geschriebenem Resumee eine etwas sauertöpfische Bilanz akademischer Spießer, die für Schuluniformen, gegen Marihuana und grundsätzlich für mehr Ordnung sind. Dass ihre Theorie über Ursachen und Wirkungen nur eine Theorie ist, eine schwache noch dazu, merkt man an den vielen Stellen, an denen sie die Wirklichkeit verbiegen müssen, damit sie ins Konzept paßt; eigentlich ein nicht untypisches Phänomen der Gegenkultur.

Thomas Friedrich
Joseph Heath, Andrew Potter: Konsumrebellen. Der Mythos der Gegenkultur. Aus dem Englischen von Thomas Laugstien. Neuauflage bei der Freitag Mediengesellschaft, Berlin 2009, 432 S., 17,80