WISSENSCHAFTSGESCHICHTE

Kopernikus und die Kalifen

Jim Al-Khalili gräbt die arabischen Fundamente der Wissenschaft aus

Wir haben die Zahlen aus dem Orient, von Algebra bis Algorithmus haben große Teile der Mathematik ihr Vokabular aus dem Arabischen, und beinahe alles, was wir über die alten Griechen wissen, stammt aus den Übersetzerschulen der ersten islamischen Großreiche. Soviel lernt man bei uns im ersten Semester, aber kaum mehr. Dagegen gilt die arabische Welt heute als irgendwie prinzipiell fortschrittsfeindlich und wissenschaftsfern.

Jim Al-Khalili, britischer Atomphysiker aus dem Irak, hat somit zwei Ziele für seine ausschweifende Wissenschaftsgeschichte. Erstens weist er nach, dass über mindestens 700 Jahre hinweg Araber in allen Wissensbereichen theoretisch und praktisch an der Spitze lagen. Zweitens versucht er zu erklären, wie eine Gesellschaft, die mit Mohammed eigentlich den Gelehrten für heiliger als den Märtyrer halten sollte, nach ihrer Blütezeit so konservativ, einschränkend und unwissenschaftlich werden konnte.

Al-Khalili berichtet von frühen Ingenieuren und Chirurgen, von Astronomen, die zu Kopernikus' Zeiten noch als Vorläufer angegeben wurden, von Chemikern und vielen anderen, deren Arbeiten der Westen gern übernahm, aber allmählich zu zitieren vergaß. Stattdessen entstand die Sage, die moderne Wissenschaft sei im Herzen westlich, obwohl Newton noch freiwillig Horoskope stellte, als Araber das schon lange nur noch als Zubrot im Herrscherauftrag machten.

So kommt Al-Khalili am Ende darauf, dass die Idee der "reinen, rationalen Wissenschaft des Westens" nur auf schlechter Lektüre der Quellen beruht, und dass der Fortschritt und das Wachstum von Wissen und Weisheit eher vom Bildungsbudget der Staaten abhängen, als von ihrer Religion.

Wing
Jim Al-Khalili: Im Haus der Weisheit. Die arabischen Wissenschaften als Fundamente unserer Kultur. Aus dem Englischen von Sebastian Vogel. S. Fischer, Frankfurt 2011, 443 S., 22,95