STEAMPUNK Kohlen und Kanonen Der dampfende Staat erleidet Schiffbruch, aber die Revolution wird international Vor ein paar Jahren erschütterte der weltweit eher unbekannte Richard Harland mit seinem Jugendbuch World Shaker die Verlage. Darin fuhren kilometerlange stählerne Städte zu Wasser und zu Lande herum, symbolisierten parallelweltlich das Elend von Ständestaat und Schwerindustrie, und im englischen Kasten-Koloss hatte ein Oberschicht-Jüngling eine befreiende Romanze mit einem Mädchen aus dem Kohlenkeller. Am Ende wurden die Ausbeuter von Bord gejagt, die ungewaschenen Massen bewaffnet und das stampfende Schiff zum Liberator umbenannt. So heißt nun auch der zweite Band, in dem die Revolution an Bord ihre Kinder frisst. Harland lässt das junge Glück der Weltbefreier vorübergehend an den Mühen der Ebene zerbrechen, bolschewikische Machenschaften erschüttern den Versuch, eine demokratische Gesellschaft in einem Boot aufzubauen, und am spannendsten wird's, wenn die freiheitsliebenden Arbeiterkampfgruppen von enthusiastischen Dauerrevolutionären wieder zu Bütteln der Idee versklavt werden. Traurig sieht der Ex-Oberschichtler und Mitbefreier zu, wie das Feuer der Revolution immer mehr unschuldige Opfer fordert, aber er sieht auch begeistert, dass es größere Ziele gibt, als bloß das eigene Überleben. Dann aber kommen die Weltenschiffe der anderen Länder, der britische Sozialismus zur See muss einen Mehrfrontenkrieg führen, und Harland schwankt zwischen abenteuerhaften Einzelaktionen (schleich dich in den Maschinenraum der Russen ein) und überraschenden Lösungen hinter dem Erzählhorizont: Wenn alles verloren scheint, haben Nebenfiguren plötzlich den Hebel gefunden, um den Welten-Krieg vorläufig zu beenden. So lässt einen Liberator etwas deliberat zurück. Große Szenen für Steampunk-Anhänger, rätselhafte Episoden mit unverständlichen Nebencharakteren, erstaunlich viele unheroische Leichen und fast gar keine Romantik zwischen dem Paar, das wir im ersten Band so lieb gewonnen haben. Das Buch fühlt sich etwas gestoppelt an, als hätte Harland zu viel Stoff gehabt, aber zu wenig Story. Es gibt aber Hinweise darauf, dass ein dritter Band in Planung ist. Schließlich hat Harland bisher einige lange Fantasy-Zyklen für erwachsene Leser geschrieben. Wing
Richard Harland: Liberator. Aus dem Englischen von Werner Leonhard. Jacoby & Stuart, Berlin 2011, 413 S., 16,95
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