WELTUNTERGANG Schurken und Schnurren Nick Harkaway erfindet den Steampunk neu
Passend zum Bienensterben, der schleichenden Katastrophe, kommt diese völlig verrückte Rettungsphantasie aus England. Die spielt zwar so ziemlich in der Gegenwart und wird durchweg im Spannungspräsens erzählt, führt sich aber vom Start weg überaus altertümlich auf und unterbricht die lange rätselhaft bleibende Handlung immer wieder mit Rückblenden in die tiefe Vergangenheit. So dauert es gut 100 Seiten, bis wir halbwegs Personal und Plot zusammen haben: Uhrmacher Joe Spork hadert irgendwo in London mit der digitalen Moderne und dem langen Schatten seines Vaters, der mal der König der Gangster war. Derweil überfallen tumbe Schläger die sehr alte Dame Edie Banister und erwecken in der Oma den Kampfgeist ihrer frühen Jahre als Geheimagentin für die Krone. Joe bekommt es mit einer seltsamen kupfernen Maschine zu tun, die er für einen verborgenen Auftraggeber reparieren soll, während andere finstere Mächte offenbar etwas dagegen haben. Edie erzählt von ihrer Erziehung zur Jungspionin und stellt uns den Orden der Ruskiniten vor. Die glauben nicht an Standards, Normen und die Industrie, sondern schwören aufs Handwerk, auf nicht-standardisierte Einzelanfertigung jeder Schraube und scheinen viktorianische Tugenden gegen die Hitler-Neuzeit zu verteidigen. Inzwischen setzt die reparierte Maschine ganze Schwärme von mechanischen Bienen frei, die den Uhrmacher sehr erfreuen, aber doch ein ungutes Gefühl erzeugen. Sehr zu Recht, denn dahinter steckt ein chinesischer Diktator, der direkt aus den Groschenromanen des frühen letzten Jahrhunderts stammt. Dann geht es erst richtig los. Nick Harkaway fabuliert zwischen Dickens und Adams ein vielfach verschlungenes Garn, setzt einen skurrilen Einfall auf den nächsten und mixt spleenige Agentenkomödie mit Familienroman und very britisher Ironie. Er verlangt aber viel Geduld, einerseits, weil er jeden zweiten Satz mit witzigen Nebenbemerkungen aufbläst, andererseits, weil im Hin und Her der Zeitebenen das Abenteuer nur sehr allmählich Fahrt aufnimmt. Meist übrigens mit einer Dampflok. Und manchmal mit Sex zum Rattern der Schienen. Wing
Nick Harkaway: Der goldene Schwarm. Aus dem Englischen von André Mumot. Knaus, München 2014, 607 S., 19,99
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