FAMILIENWERTE Dickes Blut Ganz was neues: Ein Vampirroman Man muss Matt Haig fast für den Mut bewundern, mit seinem Roman Die Radleys in einem Genre anzutreten, das mehr als überlaufen ist. Und für die Unverfrorenheit, sich die Standards der etwa zweihundert Jahre alten Literaturgattung so zurecht zu biegen, dass eine halbwegs originelle Geschichte entsteht. Und für die Kürze seiner Kapitel. In durchschnittlich drei Seiten pro Ereignis blättert Haig die fast völlig normale Geschichte der Radleys auf. Der Vater spielt mit dem Gedanken, sich eine Geliebte zuzulegen, die Mutter hat Migräne, der Sohn pubertiert und liest Byron, und die Tochter hat einen übergriffigen Verehrer am Hals. Alles ist quälender Alltag, und auch die eingeschobenen Seiten eines Abstinenzler-Handbuchs könnten aus der Nüchternheits-Literatur gegen jede Drogensorte stammen. Als aber die Tochter endlich ihren Bedränger voller Abscheu einfach totbeisst, platzt die Ader: Die ganze Familie - alles Vampire. Die wohl erzogenen Kinder erleben das Erwachen durchaus als Erwachsenwerden, entdecken, dass es eine ganze Subkultur von ihresgleichen gibt, kaufen gern mal ein Fläschchen Blut unter der Ladentheke und sind nicht eine Sekunde in der Gefahr, demnächst aus Blutdurst mordend durch die Nacht zu flattern. Die Eltern, die nach ihrer wilden Zeit abstinent geworden sind, finden zu ihrer wahren Natur und zueinander zurück. Ebenfalls ohne größere Gefährdung ihrer Mitmenschen. Das tollste für Vampire soll ohnehin sein, wechselseitig voneinander zu trinken. Natürlich gibt es auch eine skurrile Polizeiabteilung, die insgeheim Vampire überwacht und das Ausbluten der normalen Bevölkerung in Grenzen hält. Und es gibt einen Hallodri von Bruder, der verführend an der Mutter zuzelt. Und ein paar nette Slapstick-Passagen, wenn etwa der Nachbar versehentlich Blut statt Wein ins Glas kriegt und ungewohnt lüstern wird. Am schönsten aber wohl: Alfonso Cuaron hat die Absicht, daraus einen Film zu machen. Wing
Matt Haig: Die Radleys. Ein Vampirroman. Aus dem Englischen von Friederike Levin. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2010, 235 S., 19,95
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