VERLUSTE
In Liebe gebacken
Günter Gerlachs kalkuliert verrückter Roman »Der Haifischmann«
In den Momenten des höchsten Glücks verlassen zu werden - das ist nicht schön. Luca Buda, dem Helden in Günter Gerlachs Der Haifischmann passiert das gleich zweimal. Vor sieben Jahren hat ihn die süße Julia verlassen, inmitten der Liebe. Sie hat im halben Wohnviertel an die Wände gesprüht "Luca Buda é bello" - und ihm dann gesagt, dass sie jetzt aber weitermüsse, denn sich so vollständig zu verlieben, vollkommen in einer Person aufzugehen, das sei nichts für sie.
Armer Luca. Auch ansonsten ist er vom Schicksal gebeutelt: er erträgt es nicht, wenn man ihn anfaßt (so lernte er Julia kennen: sie saßen nebeneinander auf einer Bank, sie rutschte auf ihn zu und er sagt: "Wenn Sie mich anfassen, schreie ich!", und Julia sagte: "Das ist aber mein Satz!"), er geht nur mit einem Ganzkörper-Panzer auf die Straße, er ist unscheinbar, feige und andauernd verliebt. Allerdings hat er seit sieben Jahren keine Freundin mehr ("Wenn man sieben Jahre lang keine Frau mehr gehabt hat, dann liegt man plötzlich nachts auf einem Dach und findet es angenehm" lautet eine Kapitelüberschrift).
Luca hat seltsame Freunde: Benk, der Journalist, weiß alles im voraus und hat alle Hände voll zu tun, die Frauen abzuwehren. Benk hat "die Gabe" zu sehen, was mit seiner Liebe geschehen wird und geht ihr deshalb grundsätzlich aus dem Weg (bis er auf Gelbeskleidmitgrünenblättern trifft, die eigentlich Babette heißt, aber das ist eine andere Geschichte). Und eines Tages sitzt Wuh bei Luca auf dem Dachboden ("Ich bin gekommen, um gegen die Inflation des Lachens anzukämpfen") und behauptet, er sei ein Außerirdischer; auf den Straßen geht derweil der Haifischmann um, ein Gauner und Mörder, der den Leuten den Kopf abbeißt.
All dies Verrückte, und das ist das erstaunlichste an diesem witzig-traurigen Roman, wirkt bald vollkommen normal und entwickelt seine eigene Poesie und Kraft. Gerlachs Kapriolen zwingen einen nicht, hinter den Versatzstücken des Irrsinns irgendeinen symbolischen Gehalt zu entschlüsseln. Wenn Luca sich mit seiner geliebten Lisa in Teig einwickelt und sie sich gemeinsam in einen Backofen schieben lassen ("Wir backen." heißt es lakonisch) - dann ist das alles auf einmal: Symbol, Märchen, Liebe und im Ablauf des Romans vollkommen normal und beinahe logisch.
Gerlach hat viele solcher Einfälle, und jeder einzelne ist nicht willkürlich gewählt sondern führt präzise und bewegend zu einem Ende am Flughafen, wo das größte Glück und das größte Unglück warten. "Man muß nicht leben, um zu wissen, wie es geht" heißt es einmal.
Und als Luca endlich gelernt hat, für seine Liebe zu kämpfen, als Benk seine Gabe verliert und deshalb die Liebe gewinnt, als Wuh endlich weiß, wer er ist, tut sich der Boden unter Luca auf und er verliert alles. "Menschen, die planen, gehen geradewegs in den Tod. Für Feiglinge aber ist das Leben ein langes, vor ihnen liegendes Abenteuer.", sagt Herr Siebzig, der aus dem ganzen Leben eine Reality-Show machen will. Am Ende hat Luca den Verdacht, nichts weiter als eine Rolle in einer von Siebzigs Reality-Shows zu spielen ("Ich fürchte, meine Rolle ist beschissen" - "Kann man so sagen"). Aber diese Erkenntnis hilft am wenigsten.
Thomas Friedrich
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