GESCHICHTEN

Jugend war gestern

Autorinnen schreiben übers Erwachsenwerden

Junge Autorinnen, häufig schon preisgekrönt oder durch Veröffentlichungen bekannt, wurden gebeten, zum Thema "Erwachsenwerden" entweder autobiographische oder fiktive Geschichten zu schreiben. Das Ergebnis liest sich in einem Rutsch, am besten an einem Sonnentag auf der Wiese liegend und an Grashalmen kauend. Im Bett funktionierts aber auch.
Beim Gedanken an Geschichten, die sich um die Kindheit, die Pubertät und die Zeit unmittelbar danach drehen, rechnet man mit "Ich hasse alle und alle hassen mich"-Attitüden und die Altersweisheit zum Schluss. Hier aber wird das komplexe Thema aus vielen Perspektiven betrachtet, was, neben der sprachlichen Gewandheit vieler Autorinnen, mit das Schönste ist.
Maike Wetzel zum Beispiel schreibt aus der Sicht eines Zwillingspaares, indem sie kontinuierlich beim "wir" bleibt, selbst wenn es um Gedanken geht. Simone Buchholz beschreibt die Kindheit mit ihrem Opa Jupp so rührend, dass man fast wütend ist, wenn die Geschichte nach 10 Seiten aufhört. Alissa Walser baut ihre Erzählung über die erste Liebe als Filmscript auf, indem sie Abschnitte in Kameraeinstellungen und Rückblenden einteilt. In pure Nostalgie verfällt man bei Sylvia Szymanskis "Wo die Musik herkommt", die detailverliebt aus ihrer Kindheit berichtet und dabei Identifikationsmöglichkeiten en masse entstehen lässt, selbst wenn es nur die Atmosphäre der Zeit ist, in die man sich zurückversetzt fühlt. Die Geschichten von Julia Schoch über ihren traumatisierten Jugendfreund oder Henriette Kuhrts Liebeskummer in "Der Undertaker" ziehen einen dann eher runter, fesseln aber ähnlich stark wie die heiteren Retrospektiven. Tanja Dückers zeichnet in ihrer melancholisch-schönen Erzählung eine alte Frau, die sich nicht von ihrem früh verstorbenen Mann lösen kann; auch das ist eine originelle Perspektive, aus der Jugend zu berichten. In der Mitte wirds kurz dünn, als Heike Geißler in kryptisch-gestelzten Formulierungen im Selbstmitleid einer Bulimiekranken versinkt (" ...gänzlich unsepariert gehst du zum Kühlschrank, hier ist dein Platz, dein Trost, deine Mitte, anders wird es niemals sein"), und Bettina Gundermanns "Zu viel" dann doch noch mit dramatisiertem Elternhass und Selbstumkreisung in den Klischeesumpf der adoleszenten Irrungen und Wirrungen gerät.
Aber diese Falten werden von den übrigen Geschichten mit links ausgebügelt. Neologismen wie "aus dem Fenster rentnern" und Sätze wie "auf dem Pflaster klangen Damen in Pumps wie Pferde" liest man selten.
Michaela Sommer
Uwe-Michael Gutzschhahn (Hg.): Sprung ins kalte Wasser Hanser, München 2004, 176 S., 14,90, ISBN: 3446204458