GUTMENSCH Besser als sein Ruf Stefan Klein lobt die Selbstlosigkeit der Seele Der gemeine Mensch ist ein Ekel, und wenn er Darwin und Dawkins falsch verstanden hat, findet er Egoismus, Gier und Bankenschutzschirme evolutionär geboten, Solidarbeiträge hingegen widernatürlich. Stefan Klein ist umgekehrt der Meinung: gerade weil es in einer egoistischen Welt Hilfsbereitschaft gebe, müsse man nochmal neu über die begrifflichen Grundlagen nachdenken. Wie hätte etwa unnatürlicher Altruismus überleben können? Mit langem Atem und im großen Bogen untersucht Klein so ziemlich alles, was in den letzten Jahrzehnten zur Logik der Selbstlosigkeit erforscht wurde. Von Computerexperimenten mit "fairen" Programmen, die nur "zurückbescheissen" um Regelverstöße zu ahnden bis zu Vertrauensexperimenten mit Menschen, die sich gerne gar nicht die Mühe des Misstrauens und der Kontrolle machen. Von geschichtlichen Ausflügen in die Bibel, wo ein Festmahl für die Feinde als Friedensstrategie empfohlen wird, bis zu Psychotests, die zeigen, dass sogar Amerikaner dunkler Hautfarbe Vorurteile und damit Vertrauensvorbehalte gegen dunkle Hautfarben haben. All das richtet sich gegen den kruden ökonomischen Rationalismus, der nur das Handeln zum eigenen Vorteil als vernünftig anerkennt. Vom "Gefangenen-Dilemma" bis zur Bankenkrise weiß man heute, dass derlei Denken oft schlimmste Ergebnisse hat, also vernünftig sein kann. Wie genau aber der "reziproke Altruismus" funktioniert, den Klein für evolutionär angeboren hält, ist unklar. Etwas ruppig schließt er Selbstlosigkeit bei Tieren ganz aus, die bestenfalls zu Gunsten enger Verwandter auf eigene Vorteile verzichten könnten. Nur Menschen, meint Klein, kämen darauf, eine frei gewählte Gruppe über die eigenen Interessen zu stellen und etwa für Leute zu Spenden, die man nie kennen lernen wird. Das hilft unterm Strich allen, aber tun wir es deswegen? Oder bloß weil Experimente darauf hindeuten, dass am glücklichsten ist, wer vergisst, für Gaben an Andere nach Belohnung zu fragen? Kleins Argumente gegen die Gier als einzig "vernünftigen" Antrieb sind schlagend, sein Gegenmodell des siegreichen Kümmerns ist noch nicht ganz rund, aber sein Anmerkungsapparat und seine Literaturliste (50 Seiten!) helfen bei jedem Versuch, sich über die Natur der Nettigkeit klarer zu werden. Wing
Stefan Klein: Der Sinn des Gebens. Warum Selbstlosigkeit in der Evolution siegt und wir mit Egoismus nicht weiter kommen. S. Fischer, Frankfurt/M. 2010, 335 S., 18,95
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