RELIGION

Gott hat verloren

Gerald Messadié und seine »Geschichte Gottes« @BILDZEILE = Letzten Endes gleichen sich alle Revolutionen: Sie wollen einen schneidend scharfen Gott(Gerald Messadié) @BILDZEILE = »Für viele Menschen ist die Anbetung eines höherstehenden Wesens Grundvoraussetzung, um ruhig schlafen zu können. Die einen stehen mehr auf den Christengott oder Allah, während andere indische Gottheiten geil finden. Viele haben ihre Wohnung auch mit Indianerpostern oder buddhistischen Statuen geschmückt. Die APPD respektiert und garantiert die volle Religionsfreiheit, obwohl gerade die großen monotheistischen Weltreligionen in ihrer Geschichte viel Schuld auf sich geladen haben und daher nicht bedenkenlos weiterzuempfehlen sind. Allerdings haben diese Religionen auch wesentliche Beiträge zur Weltkultur geleistet. Der Kinofilm "Die Nacht der reitenden Leichen" wäre ohne das Christentum genauso undenkbar gewesen wie "Lawrence von Arabien" ohne den Islam.«
Das überaus amüsante Programm der APPD (Anarchistische Pogo-Partei Deutschlands) kann bezogen werden über APPD, Marktstraße 147, 20357 Hamburg


Das Bedürfnis nach einem Gottes-Bild sei überaus rational. Sagt der ägyptische Politikwissenschaftler Gerald Messadié, der Wert darauf legt, daß man "Gott" und "Gottesbild" nicht mit "Religion" verwechsle. Das eine entstehe aus dem Bedürfnis heraus, eine letzte Ursache zu finden, das andere sei ein Riten-System, das Mörder hervorbringe. Das Problem ist dabei, daß ein Gottes-Bild nur zu untersuchen ist innerhalb eines umgebenden religiösen Systems. So läßt sich zwar das Bild des Christen-Gottes über Abraham, Zarathustra und den Mithras-Kult zurückverfolgen, zu beschreiben ist es aber nur innerhalb der Christen-Religion.
Trotzdem will Messadié keine Religionsgeschichte schreiben und hat das in Die Geschichte Gottes auch nicht getan. Über weite Strecken ist es die Geschichte der Menschen, die sich einen oder anfangs mehrere Götter bauten, und die amüsante Spekulation darüber, warum sie das taten.

Die Ursprünge

Zu Beginn war Fruchtbarkeit das alles entscheidende Überlebenskriterium - weshalb, soweit sich die archäologischen Funde deuten lassen, Gott eine üppige Frau war, gleichzusetzen mit der Erde, den Jahreszeiten, dem Immerwiederkehrenden. Der Mann symbolisierte sich in Göttern wie Pan, die in und von der Natur lebten.
Mit der Seßhaftigkeit und der damit verbundenen Güteransammlug stieg die Notwendigkeit, sich verteidigen zu können. Um die bösen Nachbarn abzuwehren, mußte der erfahrenste Krieger eine entscheidende Rolle in der Sippe spielen - der Gott Mars war geboren: "Von der Gottheit wurde erwartet, daß sie die materiellen Güter beschützte. Die Metaphysik kennzeichnet Leute, deren Kornspeicher voll ist."

Der Osten

Während im Osten Gott ganz aus der Geschichte aussteigt - die Buddhisten bereiten sich nur auf das Nichts vor, einen Gott verehren sie nicht - schlägt er in Indien sozusagen über die Stränge: Eine unüberblickbare Götterwelt regiert in das Geschick der Menschen hinein, ohne Priesterkaste, ohne Katechismus, allein durch ungeregelten "Volksglauben".
Im Iran erfindet Zarathustra in groben Zügen des Monotheismus: Bei ihm gibt es einen Lieben Gott, einen Heiligen Geist und einen Teufel. Der Himmel ist endgültig eine reine Männersache geworden.
Die Griechen hatten ihre sehr respektlose Volksreligion, einen Haufen sehr menschliche Götter - und in Dyonisos einen "umgebauten" Shiva und Vorläufer von Jesus. Daneben gab es die "philosophische Religion" in diversen Ausprägungen und vielen Ansätzen für monotheistische Konzepte und einem leichten Defizit an Metaphysik. Platon versuchte mit seinem "pasteurisierten Spiritualismus" (Messadié) die Religion auf logische Füße zu stellen. Der eine, einzige Gott hat die Welt nach genau berechenbaren mathematischen Schritten gebaut, die Zahlenverhältnisse werden im "Timaios" (Messadié: ein"pythagoreisches Gehäcksel") gleich mitgeliefert.

Die Christen

Mit dem Christentum beginnt das Zeitalter der imperialistischen Religionen, des politischen Gottes. Aus dem eifersüchtigen Gott der Juden wird der exklusive der Christen. Der irrationale, mordende und manchmal amoralisch handelnde Jahwe wandelt sich in die schiere Güte, wird allerdings auch eine ganze Ecke unfaßbarer. Der Gott, den Jesus predigt, kann man sich beim besten Willen kaum mehr vorstellen. Dafür ist er prima zu instrumentalisieren und bestimmt fortan die politischen Geschicke. Kein Jesus-Wort, das nicht in beliebige Richtung für die Politik benutzt worden wäre. Selbst das Alte Testament bekommt eher politischen den moralischen Charakter. Das römische Weltreich begünstigt mit seinen Strukturen die Ausbreitung der anfangs unbedeutenden, aber skrupellosen Religion. Beide stützen einander. Die Priesterkaste schützt den Herrschenden, er beschützt sie.
Die Französische Revolution war keine athetistische Veranstaltung, sondern eine, die die Religion aus der Politik herausbekommen wollte. Gott sollte Privatsache bleiben. Fortan trug der Staat als nun ethikbestimmende Instanz jene molochartigen Züge, die zuvor der Christen-Kaste eigen gewesen waren. Die Aufklärung hat Gott nicht aus der Geschichte geworfen, er sitzt nur nicht mehr am Kabinetts-Tisch.

Gott im Staat

Wenn der Staat aber der einzig akzeptierte Ethik-Lieferant ist, werden seine Führer zu Göttern: Lenin, Hitler, Mao, Stalin, Mussolini sind das Ergebnis. Im Unterschied zu den historischen Gott-Kaisern haben sie allerdings keine Prophezeihungen mehr zu erfüllen, keine überlieferten Gebote mehr zu beachten. Sie sind ethisch "autonom"; das Ergebnis ist danach: "Der Mythos des in der Staatsnation inkarnierten Gottes auf Erden wurde der mentale, entweder negative oder positive Pol der gesamten Menschheit."
Mit einiger Verspätung hat sich die dritte monotheistische Religion, der Islam, in der Politik zurückgemeldet. Während Allah so unfaßbar wie der Christengott ist, weiß seine Priesterkaste sehr genau, was dem Volke frommt. Und was auch immer an moralischer Kraft von den drei großen Göttern - Jahwe, Allah, Gott - einmal ausgegangen sein mag, ist heute, so resumiert Messadié, bedeutungslos:
"Der Einfluß der drei Monotheismen und der anderen wichtigen Religionen auf die heutige Gesellschaft tendiert gegen Null. Wendet man die Weisung Jesu an, man solle den Baum nach seinen Früchten beurteilen, ist das Resultat fatal. Von den Gulags bis Auschwitz, von den Massakern des Spanischen Bürgerkriegs zu jenen im ehemaligen Jugoslawien - Niederlage an Niederlage. Gott hat verloren."

Erich Sauer
Gerald Messadié: Die Geschichte Gottes Über den Ursprung der Religionen. Aus dem Französischen von Kirsten Ruhland-Stephan und Ulrich Schweizer. Propyläen, Berlin 1998, 720 S., 68,- DM