APHORISMEN

Bröckchen

Nicolás Gómez Dávilas Denkhäppchen zum Mitnehmen

Der Mann ist schon länger tot (1994) und weithin unbekannt. Zeitlebens ist er kaum aus Bogota herausgekommen, es gibt keine ordentlichen Bücher von ihm, sein "Hauptwerk" ist eine mehrbändige Zettelsammlung, und trotzdem hat er Spuren im sogenannten Geistesleben des letzten Jahrhunderts hinterlassen. Allerdings verwirrende. An Schopenhauer fühlen sich manche bei ihm erinnert, an Cioran andere, Ernst Jünger verehrte ihn, Botho Strauss auch, und Gabriel Garcia Marquez bekannte, wenn er nicht Kommunist wäre, dächte er wie Davila. Da ahnt man schon die allgemeine Richtung: die Anti-Moderne, das Unbehagen eines weisen Einzelnen an jedem System.
Ausgerechnet jetzt, wo Hans Magnus Enzensberger nichts mehr mit der von ihm selbst begründeten "Anderen Bibliothek" zu tun haben will, bringt der Eichborn Verlag ein Best Of von Davilas Aphorismen heraus: Das Leben ist die Guillotine der Wahrheiten. Ausgewählte Sprengsätze. Vermutlich hätte der kolumbianische Solo-Denker den deutschen Herausgeber Martin Mosebach schon für den Untertitel enterbt. Schließlich arbeitete Devila 80 Jahre lang an einen Gesamtwerk, wenn auch aus Bröckchen. Manche sind halb wahr ("Was nicht kompliziert ist, ist falsch"), manche sind junkerhaft ("Die meisten Leute überschätzen sich, selbst wenn sie sich verachten"), viele schlicht Schwurbel (dass der Katholizismus die ganze Religionsphilosophie enthalte) oder versehentliche Selbstentlarvungen ("Der subtile Gedanke ist geistreiche Retuschierung von Gemeinplätzen").
Devila wird gefeiert, weil er Denkverbote der Pseudo-Aufklärung attackiere ... ach Gottchen, er rennt weit offene Türen ein. Devila wird gehasst, weil er Demokratie nicht für den Weg zu Glück und Wahrheit hält ... Himmel, er verwechselt bloß Fragen des Rechte-Habens mit Rechthaberei. Und er hält Individualität ernstlich für das Gegenteil von Soziologie.
Aphorismen-Bände müssen dünn sein, sonst merkt man, dass nichts Dickes drin steht. Insofern ist diese handliche Ausgabe gerade richtig.
WING
Nicolás Gómez Dávila: Das Leben ist die Guillotine der Wahrheiten. Ausgewählte Sprengsätze. Herausgegeben und mit einem Essay versehen von Marin Mosebach. Aus dem Spanischen von diversen Übersetzern. Eichborn, Frankfurt a.M. 2006, 319 S., 28,50