RAT-LOS-GEBER
Fettnapfs Abenteuer
Thomas Glavinic weiß auch nicht "Wie man leben soll"
Im ersten Satz explodiert die Challanger, drüben in Amerika, beim Start. Während zu Haus in Österreich die Hauptperson in Thomas Glavinics viertem Roman zum ersten mal mit einem Mädchen im Bett liegt. Mehr als ein bisschen Fummeln und altklug daherdenken ist aber nicht. "Beflissen vermeidet man, der Geliebten in den Mund zu speicheln. Ein wenig Speichel bringt Vertrautheit, doch dosis venenum facit". Wie wahr.
Auf der letzten Seite verglüht die Columbia beim Wiedereintritt, und Charlie, der dicke Held des dünnen Buchs, hat es zu allerlei Sex und zu einiger Berühmtheit als "DJ Wahrsager" gebracht. Aber niemand glaubt wirklich, einen Bildungsroman gelesen zu haben, trotz eines Goethe-Mottos vorneweg, oder einen Ratgeber, trotz hunderter "Merke"-Sätze vom Typ: "Wenn man das Gefühl hat, abzurutschen, ist es gut, wenn zu Hause eine Katze wartet". Mag sein.
In Österreich sind sie ganz jeck wegen Glavinics. Schon vier Bücher (das letzte, Der Kameramörder, war ein Kunst-Krimi aus Tätersicht), und keins gleicht dem anderen. Toll. In Deutschland sind die Kritiker eher böse, dass da schon wieder ein belangloses Leben in künstlich dröger Sprache dahinformuliert wird. "Da die Ereignisse der vergangenen Tage Eindruck gemacht haben, reißt man sich am Riemen", so stakst Charlie von einer Peinlichkeit ("Wenn man Mirkos Schwanz im Mund hat, fragt man sich plötzlich, was man da treibt") zur nächsten Katastrophe: schleicht sich etwa des Nachts zur Tante, voll Angst, sie könne tot sein. Natürlich fällt sie angesichts des Einbrechers tot um.
Phlegma rules. Manches passiert, nichts bedeutet was, und man merkt es viel schneller als der Held, der Ratgeber und Fastfood in sich frisst, und dem jede Einsicht zur Plattitüde gerinnt. "Merke: wenn man sich freut, soll man abwarten. Irgendein dickes Ende findet sich bestimmt." Stimmt. Leider.
Der Witz, sozusagen den "Fänger im Roggen" als müde Post-Pop-Oblomowiade zu remaken, groovt wie die Leerrille, die man irgendwann zwischen Challenger und Columbia abgeschafft hat. Das Kalauern mit dem Banalen (Tee bei Swingers, Suff bei Muttern, Erbschaften von den selbst Umgebrachten) entwertet sich, weil Charlie auch noch ebenso leere Erfolgs-Tagträume (Rockstar, Lebensretter, Superstudent) einschiebt. Dies ist der Roman des dicken Mofa-Rockers aus der Wüstenrot-Werbung.
Trotzdem: die Hälfte liest man mit mehr Vergnügen, sowohl am Erzählten wie an der Erzählung, als die "Jung sein macht Arbeit"-Ergüsse vom Typ "Liegen lernen" oder "Soloalbum".
WING
|