STORIES
Glück im Einfallswinkel
Peter Glasers ruhiger Bildersturm »Geschichte von Nichts«
Der Mann ist einer für besondere Sätze, mit Augenmerk, Herzeleid und Kopfkratzen: "Ihre Schatten flossen über den mondmatten Sand neben dem Weg und sahen aus wie Entwürfe plötzlicher Gewissheit." Zum Beispiel. Oder: "Sacht wie Seegras streifte mich die Gegenwart." Huh, das geht runter wie Kunstseide - und über allem selbst ganz neu ausgedachten Jugendstil-Kitsch stellt sich eine echte, weltläufige Melancholie ein, deren Prophet Peter Glaser seit 20 Jahren wurde.
Mit Der große Hirnriss begann er 83 als poetischer Punk, für die Geschichte von Nichts (Titelstück der gleichnamigen Erzählungssammlung) kriegte er gerade den Bachmann-Preis für neue Prosa. Unter anderem weil er darin dem 11.9. als erster Schriftsteller angemessen begegne. Die WTC-Türme fallen völlig unsymbolisch knapp am Rande einer sacht über den Globus gleitenden Story, in der ein Ich eine verschollene Tante sucht, nebenbei für einen Pyramiden-Spinner arbeitet und eine Liebe verliert.
Es wimmelt von Wissen, aber unaufdringlich (über arabische Musiktheorie etwa), und es regnet kleine Beobachtungen ("die Frau sah aus, als hätten ihre Kleider sie gekauft, nicht umgekehrt"), die nur ein bisschen zu deutlich eigentlich nichts bedeuten wollen.
In einer anderen Geschichte foppt eine seltsame Comic-Helden-Truppe die Welt, in dem sie die "echte" Zahl Pi in ein paar Computern fälscht und Geld dafür nimmt, den Irrtum nicht zu reparieren; weil nämlich schon zu viele teure Kosmologie-Theorien auf der erfundenen exakten Ziffernfolge beruhen. Das ist Slapstick, nur ganz langsam.
Oder in der letzten: da arbeitet einer daran, per Computer-Bildbearbeitung einen Hamster freizustellen, die Figur im laufenden Film vom Hintergrund zu lösen. Das taugt als Metapher für Glasers Schreiben; das erlaubt ihm, einzustreuen, was der Mit-Gründer des legendären Chaos Computer Clubs über den Massen-Daten-Verkehr der Moderne weiß; und dann vergißt Glaser einfach den Hamster, erlebt irgendwas anderes (viel Tod ist im Buch, auch die Tante von oben) und kauft sich glücklich eine lose Scheibe Glas. Nur so. Wie schön. Peter Glaser ist der Ray Bradbury für unsere Tage.
WING
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