VIRTUELLE GEGENWART
Im Markengarten
In »Mustererkennung« reift der Vater des Cyberpunk zum Groschenromancier
William Gibson hat vor 20 Jahren die Neuzeit für die Literatur erfunden, auf einer mechanischen Schreibmaschine. Heute liefert er, vom Palm aus, den Gartenlaube-Roman zum Nine-Eleven ab.
Das Buch beginnt mit einem Jet-Lag. 5 Stunden Zeitunterschied zwischen New York und London lassen die Hauptperson Cayce Pollard, Trend-Beraterin und Cool-Hunter, an der langsamen, im Flieger zurück gebliebenen Seele verzweifeln. Sie hat körperliche Aversionen gegen Marken-Logos im Westen, dabei verdient sie ihr Geld damit, vermarktbare Muster in Lifestyles zu erkennen. Ausserdem hat sie ein Hobby: seltsame Film-Clips ohne Autor, die im Internet auftauchen.
Ein bisschen für, ein bisschen gegen ihren Honorar-Chef einer transglobalen Werbeagentur klärt sie das scheinbar nebensächliche Geheimnis halbwegs auf. Und zufällig darunter das tiefere, warum ihr Vater damals ein Taxi zu den WTC-Towers nahm. Die Handlung weicht in entlegene Bereiche der Russen-Mafia aus, schlägt eher Märchen- als Agenten-Volten. Aber der eigentliche Gewinn liegt sowieso in den nebenbei diskutierten Findings. Warum wurde der Sinclair ZX Computer trotz seiner Vorzüge ein Flop? Was ist Guerilla-Marketing? Wie bildet sich ein kulturelles Muster: dicke Füsse an Frauen gibt's schon lange, durchsichtige Sohlen für alle kommen demnächst?
Die wirkliche Welt hinter den Konsum-Dingen kommt kaum vor. Man sollte den Roman in einem Hotel in Kuala Lumpur lesen, wenn man sich das leisten könnte. Mit der Zukunft in der Mini-Bar und der Vergangenheit ein paar Flugstunden entfernt. Gibsons rasender Computerslang aus Biochips-Tagen ist einer ruhigen, kleinteiligen Beobachtung gewichen, seine scharfe Techno-Romantik entwickelte er weiter zu zu Sprachbildern wie: "belauert von den endlos kreisenden Wölfen der Dysrhythmie". Die Heldin, am Anfang. Am Ende ist sie in Paris, mit ihrem neuen Kerl. Ach Gott.
WING
|