SINN-LOS

Ich bin doof, ich bin Gott

Eso-Kram und Poesie in »Die Gesellschaft der Anderen«

Es beginnt mit einem gelangweilten Jüngling, der nach Schule und Studium immer noch im Haus der Eltern wohnt und eher aus Trotz denn wirklichem Antrieb als Tramper irgendwo im Osten Europas landet. Dieser Osten - im Buch hat er keinen Namen - ist rückständig, ärmlich, eine Polizeidiktatur. Es gibt keine Werbung, kein Lachen, nur einen Fernsehsender und viele alte Autos: Hierhin also kommen die Autos aus dem reichen Westen, wenn sie sterben wollen, denkt die Hauptfigur.
Der LKW-Fahrer, mit dem der Held reist, wird von der örtlichen Polizei aus dem Wagen gezerrt, auf freiem Feld gefoltert und ermordet. Auf dem LKW, unter Nike-Turnschuhen und Teenie-Pornos, haben die Polizisten nämlich Bücher entdeckt, tausende von Exemplaren von "Die Gesellschaft der Anderen", verfasst von einem gewissen Vicino, dessen Person und Bücher verfolgt werden. Von Terroristen und Geheimpolizisten gejagt, muss sich der Held fortan durchs Land schlagen und sucht einen Weg nach Hause.
Der Roman wird dabei immer mehr zu einem halbseidenen und esoterischen Entschuldigungsbuch, einem Wegweiser durch die "wahren Werte" des Lebens, einer Stadtkarte zum eigenen Ich. Alle Erlebnisse gerinnen zu Selbsterkenntnis und Überwältigung: An einer Stelle etwa ist der Held derart von seiner eigenen Indolenz erschüttert, dass er schwört, bei seiner Heimkehr seiner Mutter aus Dankbarkeit die Füße zu küssen, einfach nur dafür, dass sie "Mutter" ist. Ein Andermal entdeckt er die eigene Selbstüberschätzung in der Musik von Schostakowitsch; das ist schlimmer als Hermann Hesse, allerdings von der gleichen steinernen Humorlosigkeit durchseucht.
Die Gesellschaft der Anderen bietet gut 150 Seiten lang eine spannende Geschichte. Bis man zu ahnen beginnt, dass hier Innenleben dramatisiert wird, in klassich platter Eso-Manier sind Land und Leute nichts weiter als Abbildungen der Seelennöte des Helden. Die Morde, die er begeht, begeht er in seinem Bewußtsein an sich selbst, in dem er Eigenschaften "abttötet".
All dies, das Überflüssige weglassend, erreicht der Held die wirklich glücklichen Momente des Lebens, so wie es in vicinos "Das Leben der Anderen" empfohlen wird. Gewalt ist Dreck, gewalttätige Revolte gegen Diktaturen ist Dreck. Glück ist: mit Papa am Sonntag Fahrradfahren (das ist, zugebeben, um Längen besser als allein am Sonntag solche Bücher wie das hier zu lesen). Und: Wir alle sind Gott, niemand hat Recht, Streitgespräche bringen nichts... alles in dieser Preisklasse.
William Nicholson war für das Drehbuch von Gladiator und Nell verantwortlich. Warum er im Klappentext auch als Regisseur von Nell geführt wird (die einzige Regiearbeit von Nicholson war Firelight) bleibt ebenso rätselhaft wie die Tatsache, dass ein einstmals fröhlicher linker Verlag wie Eichborn diese peinliche Flachware verlegt.
Victor Lachner
William Nicholson: Die Gesellschaft der Anderen Übersetzt von Bernhard Robben. Eichborn, Frankfurt 2006, 258 S., 19,90 ISBN: 3821809574