WELTKRIEG I

Saurons Schützengraben

John Garth findet Mittelerde an der Somme

Stammen die Orks von den Nazis ab? Ist J. R.R. Tolkiens böser Sauron vielleicht der Fantasy Bruder von George Orwells Big Brother? Oder ist die voluminöse "Herr der Ringe"-Trilogie doch bloß der Weltfluchtratgeber, als den ihn die Hippies der 70er Jahre nahmen? Damals, als es noch keine Verfilmungen gab und keine ganzen Bibliotheken voller Sekundärliteratur?

Gandalf & Co. haben schon die seltsamsten Deutungen überlebt. Jetzt hat John Garth eine ausführliche Untersuchung der jungen Jahre Tolkiens unternommen, die von den schlammigen Rugbyfeldern seiner Schulzeit bis zu einer minutiös nachgezeichneten Schlacht an der Somme führt. Dort, da ist sich John Grath sicher, liegt das Tor zu Mittelerde. So sicher, dass er seinem literaturhistorischen Sachbuch Aufmarschpläne und Lagekarten beigibt, als könnte man Gondolin in der Nähe von Orville finden.

Tolkien und seine Schulfreunde hatten die Köpfe noch voll klassischer Bildung und lateinischen Streitgesprächen, schrieben sich lange Briefe und komplizierte Gedichte und sahen insgesamt ziemlich naiv aus den Fenstern ihrer Luftschlösser auf die Welt vor dem Krieg. An dessen Ende waren dann fast alle tot. Gerade unter den jungen Studenten waren die Verluste am höchsten.

Schritt für Schritt folgt John Garth Tolkien und den an mehreren Fronten verstreuten Freunden durchs Gelände, und ausführlich kommentiert er deren Texte, vor allem natürlich frühe Gedichte von Tolkien. Nicht um direkte Übernahmen zu entdecken, sondern eher um zu illustrieren, wie das Erlebnis der Schützengräben den anfangs eher verspielten Feenmärchen auf die Stimmung schlug.

Hatte Tolkien etwa vor der Schlacht an der Somme schon eine Art Orks als Zerrbild der Deutschen entworfen, änderte er im Feld Namen und Begriffe, weil er miterlebte, dass die Orks auf beiden Seiten standen.

Wer sie dagegen nur aus dem Kino kennt, wird mit dem Buch nicht viel anfangen können. Mindestens die zentrale Trilogie sollte man schon im Kopf haben, und möglichst den Silmarillion dazu. Dann würden sich die Ähnlichkeiten zwischen Werk und Welt schon von ganz allein erschließen, meint Garth.

Für alle anderen ist es die beeindruckend dicht belegte Geschichte einer Jugendgruppe auf dem Weg in den großen Krieg, der sich als große Katastrophe entpuppte.

Wing

John Garth: Tolkien und der Erste Weltkrieg. Das Tor zu Mittelerde. Aus dem Englischen von Birgit Herden und Marcel Bülles. Klett-Cotta, Stuttgart 2014, 464 S., 22,95