JAHRESWENDE
Weit sehen Ein Rückblick auf die Visionen dieses Jahrhunderts Ein paar kluge Gedanken stehen ja drin, in Angela und Karlheinz Steinmüllers Visionen - Eine Chronik der Zukunft. Etwa dass die in der Zukunft spielende Romanhandlung auch erst erfunden werden mußte. Oder dass H.G. Wells 1901 ein paar klarsichtige Gedanken über das kommende Jahrhundert hatte. Aber insgesamt sind diese Visionen ein rechter Trödelladen, unsortiert, unvollständig, willkürlich geordnet. Nicht immer, wenn ein SF-Autor einen Roman veröffentlichte, ist das gleich eine "Vision". Andererseits: die Erfindung des Kinos war eine - und die kommt nicht vor. Erstaunlich auch, dass zwei Physiker wie die Steinmüllers der Naturwissenschaft so wenig Raum geben. Biologie und Chemie, die großen Veränderer dieses Jahrhunderts, kommen kaum vor. Gibsons "Neuromancer" ist ein Event (obwohl er nichts weiter als der Höhepunkt einer Mode war), aber keines der Bücher von John Brunner taucht auf (der hatte vom "Schockwellenreiter" bis "Stand on Zanzibar" mehr Visionen als die gesamte deutsche SF in diesem Jahrhundert). Und noch nicht genug der Einwände: es ist alles sehr germanisch, sehr deutsch-fixiert, gut ein Drittel der Einträge bezieht sich auf deutsche "Visionen", und da tut man den in diesem Jahrhundert geistesgeschichtlich eher unangenehm aufgefallenen Germanen entschieden zu viel der Ehre an. Immerhin: nett bebildert ist dieser Katalog der Einfälle. Dass die "Visionen" bis ins Jahr 2100 geführt werden, ist nur ein weiterer hilfloser Gag der Autoren: Auf die Jahreszahl festgelegte Prognosen werden um heute erkennbaren Trends ergänzt und als "Ereignis" gefeiert. Das Jahr 2051 etwa wird uns den "ewigen Orgasmus" bringen. Dann wird niemand mehr Zeit und Lust haben, zu lesen. Es gibt gegenwärtig Trends und Bücher, die das nicht als Verlust erscheinen lassen. Erich Sauer
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Angela Steinmüller / Karlheinz Steinmüller: Visionen - Eine Chronik der Zukunft 1900 - 2000 - 2100 Ein Projekt von Z_punkt büro für zukunftsgestaltung, Hg. von Klaus Burmeister. Rogner & Bernhard bei 2001, Hamburg 1999, 600 S., 110 Abb., 50,- DM. nur bei Zweitausendeins, Frankfurt. |