FUSSBALLGESCHICHTE Juden und Taktik Über die jüdischen Wurzeln des FC Bayern, eine Geschichte der Fußballtaktik und die Memoiren von Ansgar Brinkmann, dem Rüpelchen mit genialen Momenten Während die deutschen Turner sich als Vorbereiter auf den wehrtüchtigen Deutschen verstanden und dementsprechend nationalistisch verseucht waren, hatte der Fußball seine Wurzeln eher im liberalen Angestelltenmilieu. Balltreten war eben nicht vorwiegend Proll-Tätigkeit sondern der Freizeitspaß einer aufgeklärten Generation, die sich an Barren und Reck eher langweilte. So waren die Fußballclubs im Deutschland des 19. Jahrhunderts nicht nur vergleichweise weltoffen, sie waren oft auch unter jüdischer Beteiligung gegründet worden. Der FC Bayern und seine Juden - Aufstieg und Zerschlagung einer liberalen Fußballkultur erzählt die Geschichte des erfolgreichsten deutschen Profi-Clubs, der bis 1933 von einem jüdischen Präsidenten geführt wurde, mehrere jüdische Trainer und Spieler hatte und trotzdem nach Machtergreifung der Nazis zu jenen Clubs gehörte, die in vorauseilendem Gehorsam ihre Juden rausschmissen und sich mit einer öffentlichen Ergebenheitsadresse bei den neuen Machthabern anbiederten. Die deutschen Fußballer waren übrigens mit diesem "Wir machen unseren Verein judenfrei"-Aktionismus derart eifrig, dass sie von den Nazis gebremst werden mussten: Man sei zwar angetan vom neuen teutschen Eifer, aber sooo eilig habe man es gar nicht mit der "Entjudung". Schließlich standen noch die Olympischen Spiele von 1936 aus, und da wollte man im Ausland nicht allzu heftig auffallen. Woher der Übereifer bei den Bayern kam, kann auch Autor Dietrich Schulze-Marmeling nicht wirklich erklären, der in seinem Sport und Geschichte klug kombinierenden Buch den FC Bayern bis 1933 als vorbildliches Beispiel in Sachen Liberalität vorstellt. Gerade in München, der "Hauptstadt der Bewegung" und in den 20er Jahren zunehmend aggressiv antisemitischen Bayernhauptstadt, ließ sich der FC Bayern nicht mal vom stock konservativen Deutschen Fußballbund auf Linie bringen und pflegte eifrig Auslandskontakte - inGastspielen, die er meistens verlor, weil das schottisch-ungarische Kurzpassspiel der deutschen Balltreterei weit überlegen war. Schulze-Marmeling, der bereits 2003 mit dem Buch Davidstern und Lederball: Die Geschichte der Juden im deutschen und internationalen Fußball sich dem Thema genähert hatte, weiß nicht nur, wer bei der dritten Begegnung mit dem FC Basel die Flanke von links schlug, die zum 2:3 führte, er kann auch aus Feuchtwangers Roman Erfolg zitieren, einem belletristischen Standardwerk über den Untergang des liberalen München in den 20er Jahren. Dass der FC Bayern nach 1945 sich zwar als "Judenklub" bei den Alliierten anbiederte, um seine Lizenz wiederzuerlangen, ansonsten seiner Geschichte aber in deutscher Art aus dem Weg ging, ist dabei beschämend. Erst unter dem Druck einiger Fan-Gruppen und nach dem Wechsel von Bayern-Manager Uli Hoeneß in den Präsidentenstuhl änderte sich die Haltung des Vereins, der sich heute offener zu seinen jüdischen Wurzeln bekennt. Das hätte ihm gar nicht so schwer fallen müssen, denn nach 1945 kehrte der bis dahin im Exil lebende Bayernpräsident Kurt Landauer nach Deutschland zurück (obwohl fast alle seine Geschwister von den Nazis ermordet worden waren) - und ließ sich wieder zum Präsidenten wählen. Die Erinnerung an diesen bayerischen Juden lag also gar nicht so fern. Neben dem Faktenreichtum, der politischen Sachkenntnis und dem unerbittlich deutlichen Einordnen deutscher Verbrechen überzeugt Schulze-Marmelings Buch vor allem durch seine durchgehende Verweigerung, irgendeine "Erklärung" für das charakterlose Verhalten deutscher Sportfunktionäre zwischen 1933 und 1945 zu finden. Er setzt im Gegenteil ein paar kleine Leuchtfeuer, indem er Beispiele von Sportlern bringt, die sich dem Rassenwahn der Nazis verweigerten. Etwa das Beispiel des Bayern-Nationalspielers Willy Simetsreiter, der 1936 bei der Olympiade den schwarzen Athleten Jesse Owens kennenlernte, sich mit ihm fotografieren ließ und dieses Foto zeit seines Lebens als Autogrammkarte benutzte. Taktikgeschichten Ein Teil der FC Bayern-Geschichte ist auch das Lernen im Ausland: Die frühen, vom Verband gar nicht gern gesehenen Begegnungen mit Auslands-Clubs endeten zwar oft desaströs für die Münchner, war aber von allen deutschen Beteiligten eher als Lernstunde gedacht. Vor allem die "ungarische Schule" hatte es den Bayern früh angetan. Wie solche "Schulen" entstanden und was sie bedeuteten (und wie sehr sie manchmal mit nur zwei bis drei Namen verbunden waren) erklärt der Engländer Jonathan Wilson in seinem bisweilen enervierend detailreichen, aber seit langem viel gelobten Buch Revolutionen auf dem Rasen - Eine Geschichte der Fußballtaktik, das jetzt auch auf Deutsch vorliegt. Da geht es nicht nur um so Zauberzahlen wie 4-3-3 oder 2-3-5 oder Feinheiten, wann der "Mittelläufer" aus dem Mittelfeld nach hinten gezogen wurde und wie man die daraus resultierende Unterzahl im Mittelfeld kompensierte - es geht um Grundsätzliches: Wie der Fußball entstand, warum er anfangs nur "nach vorne" kannte und wegen einer sehr defensiven Abseitsregel langweilig zu werden drohte. Wir lernen den Unterschied zwischen "Tank" und denkendem Stürmer, wir lernen die Feinheiten bestimmter Vereinstaktiken kennen, warum der gefürchtete "Catenacio" vor allem kleinen Mannschaften half und wer eigentlich die Raumdeckung erfunden hat (die Russen warnīs). Ein Großteil des Buches behandelt die Zeit und Begegnungen nach dem 2. Weltkrieg, als die Spielsysteme verstärkt aufeinandertrafen und warum manchmal die besten Mannschaften der Welt nicht Weltmeister werden. Das "Wunder von Bern" gehört in diese Kategorie wie der Sieg 1974, als die Holländer die beste Mannschaft hatten und trotzdem gegen Beckenbauers Kicker verloren. Dass die Deutschen in der Entwicklung der Taktik übrigens nie eine Rolle spielten, kann auch Wilson nicht erklären. Das Volk, das sich selbst am liebsten grübelnd sieht, hat im Fußball immer nur adaptiert - sieht man von Beckenbauers Libero-Auffassung ab, die tatsächlich neu aber mehr seiner Faulheit geschuldet war: Er wollte weniger laufen und trotzdem ins Spiel eingreifen können. @zwischen = Brinkmanns Best Mit Taktik sowieso nichts am Hut hat das lokale Rüpelchen Ansgar Brinkmann. Der "weiße Brasilianer", wie er sich gern nennen ließ, machte auf dem Platz und auch daneben stets, was er wollte. Das wurde dann zwar keine richtige Karriere, aber Brinkmann hat es fertig gebracht, für Preußen Münster, den VFL Osnabrück, für Gütersloh und Arminia Bielefeld zu spielen, und die Fans habenīs ihm nicht übel genommen. An genialen Tagen konnte der Dribbelix ein Spiel fast allein entscheiden, an schlechten Tagen stand er auf dem Spielfeld und verbrauchte nur Sauerstoff. Ansgar Brinkman - Der weiße Brasilianer heißt das in der Ich-Form erzählte und jetzt erschienene Buch, das eigentlich Bastian Henrichs geschrieben hat und das tapfer gegen die Leere ankämpft, die sich aus einem "Ich kann nur Fußball"-Leben ergibt. Brinkmanns Erinnerungen sind zweifelsfrei nett frech erzählt und enthalten einige Dönekes (keine Enthüllungen, Gott sei Dank) über seine Familie (mit zwei halbkriminellen Brüdern), seine Zeit bei Mainz 05 und Alemania Aachen und dass er seine Karriere selbst vermurkst hat, weil seine Entscheidungen stets spontan fielen. Mit dieser Spontanität hat er Verträge unterschrieben und platzen lassen, sich in Prügeleien gestürzt und Geld verloren, als er sich etwa als Investor für ziemlich tote Innenstadt-Immobilien in Bielefeld catchen ließ. Nicht nur seiner Spielweise nach, auch die Innenausstattung Brinkmanns rechtfertigt den Begriff "Straßenfußballer". Seine Biografie ist auch deshalb so unterhaltsam, weil sich hier einer wirklich für nichts, gar nichts, außerhalb des Platzes interessiert. Und weil er trotzdem auf die Frage "Peter Pacult oder Dieter Brei?" (zwei Trainer und Hassfiguren in Brinkmanns Leben) antwortet: "Dann lieber Afghanistan". Dass er an gleicher Stelle auf die Frage "Israel oder Palästina" antwortet "Beide Völker sind nicht ganz dicht"... nun ja. Wer fragt auch Fußballer nach sowas?! Erich Sauer
Dietrich Schulze-Marmeling: Der FC Bayern und seine Juden. Aufstieg und Zerschlagung einer liberalen Fußballkultur. Verlag Die Werkstatt, Göttingen 2011, 256 S., mit zahlr. Abb., 14,90 / Jonathan Wilson: Revolutionen auf dem Rasen. Eine Geschichte der Fußballtaktik. Aus dem Englischen von Markus Montz. Verlag Die Werkstatt, Göttingen 2011, 463 S., 19,90 / Ansgar Brinkman - Der weiße Brasilianer. Aufgezeichnet von Bastian Henrichs. Delius Klasing, Bielefeld 2011, 204 S., 19,90
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