LESEBUCH

Liegen lernen

Egon Friedells Ideen zu Seele, Genie und Dilettanten

Diogenes-Chef Daniel Keel und Daniel Kampa haben ein Lesebuch mit Texten von Egon Friedell zusammengestellt. Dieses Lesebuch ist sehr amüsant, aber das ist kein Kunststück. Es ist schlechterdings unmöglich, Aufsätze von Friedell zu finden, die nicht weise, witzig, albern, originell oder amüsant wären; meistens sind sie alles gleichzeitig.
Es kann also zum Jahresausklang kein besseres Buch geben als eines, in dem man folgende Sätze findet: "Ich glaube nicht, dass Shakespeare ein sogenannter ernster Mensch war. Jedenfalls sind seine Narren immer die gescheitesten Personen, während der bleierne Ernst eines Lear oder Othello mit dem Leben nicht fertig wird und lauter Mißgriffe begeht. (...) Ein Mensch, der nicht weiss, dass er ein Narr ist, ist nicht nur kein Künstler, sonder versteht überhaupt nichts vom Leben."
Auch dort, wo er einen in den 20er Jahren des 20. Jahrhunders wenig originellen Genie-Kult pflegte, gerinnen Friedells Gedanken zu Sätzen beinahe aggressiver Melancholie:
"Jeder Mensch, dem irgend etwas wichtiger ist als er selbst, ist eine Art Dichter. Der Förster und sein Wald, die Mutter und ihr Kind, der Künstler und sein Vorwurf, der Forscher und sein Gegenstand, Cato und Rom, Bismarck und Deutschland, Jesus und die Menschheit - das alles sind nur Grade." - ohne den Haken "der Künstler und sein Vorwurf" hätten das viele schreiben können; so - nur Friedell.
"Kultur ist Reichtum an Problemen." schreibt er. Oder: "Ohne Gott keine Seele, aber ohne Seele auch keinen Gott." Er kann einen unglaublichen Blödsinn über "die Frau" schreiben (darin seinem Hausgott Nietzsche ähnlich) und ein Lob des Liegens: "Liegender Zustand erzeugt in uns Milde, Objektivität, Gleichgewicht, Überlegenheit; Sitzen erzeugt Nervosität, Geldgier, Malice, Unzufriedenheit."
Mit Lesebändchen versehen, auf edlem Papier gedruckt und mit einem schönen Pappschuber versehen und daher auch hervorragend als Jahresendgabe geeignet, ist Vom Schaltwerk der Gedanken genau das Buch, mit dem man sich aus dem Jahr herauslächeln möchte. Es kommt nicht oft vor, dass man beim Betrachten kluger Gedanken so oft schmunzeln muss.
Der Ernst des Lebens - von dem Egon Friedell so gar nichts hielt - kommt früh genug wieder über uns.
Thomas Friedrich
Egon Friedell: Vom Schaltwerk der Gedanken. Ausgewählte Essays zu Geschichte, Politik, Philosophie, Religion, Theater und Literatur Hg. von Daniel Keel und Daniel Kampa. Diogenes, Zürich 2007, 696 S., 28,90