GÖREN MIT WITZ

Das Leben als Film

Emma Forrest erschließt uns das rege Inneleben einer 16jährigen

Man kann der Autorin nicht verübeln, dass sie das Gehirn ihrer Hauptfigur Viva mit Filmen, Stars, Popmusik und Labels vollgestopft hat und sie so durch die Welt einer 16-Jährigen ziehen lässt - schliesslich besteht das "wahre Leben" der Autorin (Jahrgang 77) kaum aus etwas anderem: Seit sie 15 ist schreibt sie für NME, The Sunday Times, Vanity Fair, geht mit Oasises und Blur's Kaffeetrinken, kennt alles und jeden und packt jetzt aus.
Eigentlich packt Viva aus. Die bewohnt im Hause Hollywood ein kleines Zimmer. Kennt nicht nur jeden Schauspieler und Musiker, sie hat auch jeden Film gesehen und alle Songs dieser Erde gehört. Wenn sie einen guten Tag hat, könnte sie glatt als genetischer Ableger Liz Taylors durchgehen. An den schlechteren dreht sie mit sich selbst in der Hauptrolle ihren eigenen Film. Mal spielt sie triefend schlecht, dann oscarreif. Eigentlich sollte sich Viva auf die Abschlußprüfungen in der Schule vorbereiten. Nur haben die Schule, Lehrer und die knöchigen Mitschüler nichts in ihrem Film verloren.
Treena ist die Ausnahme. Sie ist Vivas beste Freundin und die Sexgöttin der Schule - eine Mischung aus Brooke Shields, Miss Barbados und Miss Porno und so schön, dass es schmerzt. Viva liebt Treenas "Scheiss was drauf jagen - wir den Laden in die Luft"-Einstellung und gestattet ihr von Zeit zu Zeit sogar einen Gastauftritt. Die männlichen Nebenrollen sind mit Vivas schwulem Onkel Manny und ihrem platonischen Freund Ray besetzt. Ray ist ein Popstar und Woody Allen-Fanatiker Er widmet ihm jede Platte und glaubt, wenn er ständig über Woody Allen spricht, wird ihn jeder für einen verkannten Intellektuellen halten. Das nervt Viva, manchmal nervt sie auch, dass Ray keine Anstalten macht, sie zu vögeln. Schlimmer als das ist jedoch Vivas Mittelstandsneurose. Die Normalität des Alltags macht sie so krank, dass sie jede Gelegenheit wahrnimmt, ihr zu entkommen. Dann rührt sie in ungeordneten Gedanken die Wirklichkeit mit der Welt des Glamours zusammen, vergleicht, verspottet und vergöttert, ballert mit Namen um sich und vergisst darüber ganz wissentlich, die Prüfungen zu schreiben.
Lieber zieht Viva durch Videoclips und Konzerte oder schreibt Briefe an Lord Byron. Pausenlos redet sie dabei über gute und schlechte Filme, gute und schlechte Musik, gute und schlechte Stars. 277 Seiten lang notorisches namedropping.
Das Buch würde nerven, wenn Viva nicht so verdammt gut wäre. Mit dem Vokabular einer belesenen Popstar-Göre schildert sie in jedem noch so belanglosen Augenblick ihre Sicht der Dinge. Schockierend, naiv, zynisch und lustig. Und manchmal läßt sie sogar tief dabei blicken.
Kathleen Wächter
Emma Forrest: Namedropping. Aus dem Englischen von Marion Kagerer. Dtv, München 2000, 277 S., 17,50 DM