Schuld Einfach weggehen Richard Fords »Kanada« handelt vom Unglück der Liebe Ich kann diese Geschichte nur erzählen, wenn ich vom Bankraub meiner Eltern berichte, sagt der Erzähler zu Anfang, und braucht dann erstmal 200 Seiten und einige Jahre, um zum Ablauf des Bankraubs zu kommen. Diese Technik "durch die Zeiten" benutzt Ford in seinem Roman durchgehend. Kanada folgt zwar im Wesentlichen einem Handlungsstrang, aber da der 60-jährige Erzähler weit in die Vergangenheit zurückblickt, kann er hin und herspringen, schließlich kennt er den Ablauf und das Ende seiner Geschichte längst. Die beginnt mit dem Unglück seiner Eltern, die einander zwar herzlich liebten, aber überhaupt nicht füreinander geschaffen waren. Beide, sagt der Erzähler, wären glücklicher gewesen, hätten sie sich so früh wie möglich getrennt. So aber gerät der leichtlebige Vater in Schwierigkeiten, und die eher intellektuelle Mutter erklärt sich bereit, bei jenem Banküberfall zu helfen, der die Familie von allen Sorgen befreien soll. Der zweite Teil des Romans spielt in Kanada, wo der Erzähler seine Jugend verbringt, nachdem Mama und Papa im Knast gelandet sind. Dort wird er einen Mord mitansehen und zwei Tote begraben müssen. Und hier wie dort, im Falle seiner Eltern, stellt sich die Frage: Was ist Schuld, wo beginnt und wer kann uns davon erlösen? Das Wort "Gott" kommt bei Ford gar nicht erst vor. Er beschreibt lieber die endlosen Weizenfelder Kanadas und den Geruch der Waldhütten, in denen die Arbeiter hausen. Ford nutzt Details, die eigentlich keine Bedeutung haben und die dennoch alle Erinnerungen ausmachen: Gerüche, Ängste, Geräusche: "Sie hatte geweint und roch nach ihren Tränen und nach Zigaretten." Dieser sanfte Tonfall hält Kanada in einer luftigen Schwebe. Hier wird nichts mit Bedeutungen aufgeladen. Alles ist, wie es ist. Und die einzig wichtige Frage am Ende ist: Warum war es nicht anders? Die Antwort, dass Liebe und Freundschaft uns oft ins Verderben führen, klingt bei Ford nicht zynisch. Das ist vielleicht die erstaunlichste Leistung dieses großen Romans. Thomas Friedrich
Richard Ford: Kanada. Aus dem Amerikanischen von Frank Heibert. Hanser, München / Wien 2012, 464 S., 24,90
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