NAHRUNG

Das Elend des Fleisches

Jonathan Safran Foer erzählt uns, warum wir keine Tiere mehr essen sollten

Wenn wir Fleisch essen, stellen wir uns gerne Großmutters Hühnersuppe vor und wie sie entstand. Dass das, was wir als Fleisch auf dem Teller haben, inzwischen fast immer ein elendes Leben und einen elenden Tod durchleiden musste, daran denken wir nicht so gerne.

Der Amerikaner Jonathan Safran Foer beginnt sein Buch Tiere essen mit Großmutters Hühnersuppe. Seine Großmutter war durch das Europa der Nazis geirrt, immer auf der Flucht, mit knurrendem Magen, und was immer sie später auf den Tisch brachte, war eigentlich zuviel. Was wir essen, wie wir essen und wie viel wir essen ist eben mehr eine Frage der persönlichen Biografie und unserer Kultur als Ausdruck biologischer Notwendigkeit. Wenn wir essen, so Foer, reflektieren wir auch unsere Kulturgeschichte.

So handelt sein Buch zunächst von Tabus: Warum essen wir keine Hunde? Sie sind billig, überall zu haben, angeblich schmackhaft. Dass wir bestimmte Tiere essen und andere nicht, ist eben eine willkürliche kulturelle Entscheidung.

Das gilt dann auch für die Art, wie wir Nutztiere behandeln. Foer schleicht sich in Zuchtbetriebe ein, besichtigt Schlachthöfe, besucht auch alternative Bauernhöfe. Aber vor allem sieht er eine durch und durch zynische Industrie, in der überzählige Küken lebend in den Schredder geworfen werden. Wo Rinder und Schweine in der Hektik beim Schlachten nicht oder nicht richtig betäubt werden und daher lebendig zerteilt werden. Er beschreibt das Elend der Zuchtsauen, die sich in ihrem Stallkäfig nicht mehr bewegen können. Er erzählt von einer Esskultur, in der Tiere nichts weiter sind als Proteinlieferanten. Tiere essen ist zwar ein wirr strukturiertes (und schön geschriebenes) Buch, aber es vermeidet jede Aggressivität. Es macht Fleischesser nicht zu Monstern und Veganer nicht zu Heiligen. Aber dass wir, soweit wir Fleisch essen, zumindest darüber nachdenken sollten, warum wir das tun und was wir da tun - das legt der Schriftsteller und Vegetarier Foer uns dringend ans Herz. Tiere essen erzählt wenig Neues. Seit der Beschreibung der Schlachthöfe von Chicago durch Sinclair Lewis vor Hundert Jahren gibt es eine lange Liste der aufklärenden Literatur über die Zustände der Fleischproduktion. Die gab es nämlich schon, als Foer sich noch an Großmutters Hühnersuppe erfreute. Foers Leistung besteht eher darin, der Kritik eine freundliche Stimme zu geben. Seinem Buch fehlt der Tonfall des Eiferers, es ist freundlich, es sucht Verbindungen (Foer lässt einen Vegetarier darüber schreiben, was er von alternativen Rinderzuchtbetrieben hält), es ist das Buch eines jungen Vaters, der sich kundig machen wollte, was er seinem Sohn demnächst auf den Tisch stellt (so die dramaturgische Klammer des Buches).

In seiner sanften Art, in der es die Zustände unserer Esskultur beschreibt, kann es das eine Buch zu viel sein, das einen Fleischesser dazu bringt, seine Ernährung umzustellen. Dabei geht es Foer nicht darum den Planeten zu retten; die ökologischen Folgen der Fleischproduktion kommen bei ihm nur am Rande vor.

Seine Großmutter erzählt ihm, wie sie nach dem Krieg beinahe verhungert wäre und wie ein freundlicher polnischer Bauer ihr ein großes Stück Schweinefleisch schenkte. Das sie nicht anrührte: "Ich würde nie Schwein essen." - "Doch nicht, weil es nicht koscher war?" - "Natürlich." - "Auch nicht, um dein Leben zu retten?" - "Wenn nichts mehr wichtig ist, gibt es nichts zu retten."

Erich Sauer
Jonathan Safran Foer: Tiere essen. Aus dem amerikanischen Englisch von Isabel Bogdan, Ingo Herzke, Brigitte Jakobeit. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2010, 400 S., 19,95