SINNSUCHE

Wir sind verloren

»Was mit Kate geschah« handelt vom allmählichen Verschwinden

Kate ist Detektivin. Sie beobachtet von einer Parkbank aus andere Leute. Wer ihr komisch vorkommt, landet in ihrem Notizbuch. Sie bewacht die Nachbarschaft und achtet darauf, wer die Straße überquert, welcher Hund in welchen Garten pinkelt. Kate will Verbrechen verhindern. Sie will Leute warnen, dass jemand vielleicht planen könnte, eine Untat gegen sie begehen zu wollen. Außerdem hofft Kate, dass ihre Detektei endlich mal einen richtigen Auftrag erhält.

Kate ist die ersten 70 Seiten die bezaubernde Hauptfigur in Catherine O'Flynns Debutroman Was mit Kate geschah (O-Titel: What was lost). Kate hat gerade ihren Vater verloren und lebt jetzt mit ihrer Oma zusammen. Kate ist zehn Jahre alt.

O'Flynn beschreibt ihre junge Heldin derart intensiv und bewegend, dass sie die folgenden 200 Seiten ständig präsent ist, auch wenn es eigentlich um etwas anderes geht. Der zweite Teil des Romans spielt viele Jahre später, Kate ist nur noch eine blasse Erinnerung, nachdem sie damals unter nie geklärten Umständen verschwand. Die beiden Hauptfiguren, Lisa und Kurt, arbeiten in jener Mall, in der Kate damals verschwand. Beide haben das Gefühl, dass ihr Leben an ihnen vorbeigeht, langsam, doch stetig. Wie Schlafwandler lassen sie sich durch einen Job schieben, der einfach da ist und den sie hassen. Lisa verkauft CDs, Kurt ist Wachmann. Eines Tages sieht Kurt auf seinen Überwachungsmonitoren ein kleines Mädchen, das wie Kate aussieht. Eher beiläufig erzählt er Lisa davon, und beide erinnern sich, dass sie damals mit dem kleinen Mädchen kurz Kontakt hatten.

Formal aufgebaut wie ein Thriller, handelt Was mit Kate geschah vom Verlust des eigenen Lebens durch Älterwerden. Das Leben schlägt auf einen ein, irgendwann schlägt man nicht mehr zurück und bleibt einfach nur da, am Leben. Die Erinnerungen an das traurige, aber liebreizende Mädchen Kate, an ein Kind voller Wünsche und Hoffnungen, lösen bei Kurt und Lisa etwas aus. Nichts dramatisches - nichts in diesem wundersam dahinfließenden Buch ist dramatisch, aber alles ist spannend - es genügt jedoch, dass sie ihr Leben ändern möchten. Vielleicht. Am Ende suchen Lisa und Kurt in den riesigen, endlosen Versorgungsschächten nach einem kleinen Mädchen, das sich vielleicht verlaufen hat. Eigentlich suchen sie Spuren von sich selbst, bevor sie in diesem Leben so furchtbar verloren gegangen sind.

Victor Lachner
Catherine O'Flynn: Was mit Kate geschah. Aus dem Englischen von Cornelia Holfelder-von der Tann. Atrium, Zürich 2009, 270 S., 19,90