ESSEN
Wider die Wurst Bei Nick Fiddes kriegt der symbolische Weltverzehr sein Fett weg Essen ist Macht, meint der Anthropologe Nick Fiddes, jedenfalls Fleischessen. Und am Wandel der Moden von der schieren Schweinshaxe zum getarnten Chicken-Nugget zeige sich das Unbehagen der Moderne an sichtbarer, blutiger Unterdrückung. Und die Perfidie der Panade, die Fleischextrakte auch noch in Gemüsebrühen schmuggelt. Nicht aber ist Essen wirklich Macht (nun, es gibt Hinweise, daß Bratwurst rüpeliger macht als Tomatensalat), vielmehr wird es seit Menschengedenken gerne außer zum Kochen auch als Symbol verwendet. Der Teil ist der spannendste an Fiddes' ernährungs-sozial-psychologischer Studie: noch hinter den simpelsten scheinbaren Fakten (der Mensch begann als Jäger, Cheddar-Käse ist ungesünder als Hackbraten) spürt er Rituale, Interessen, versteckte Politik auf. Nicht der Vegetarismus etwa ist eine Ideologie, sondern ihn dafür zu halten ist eine. Es wimmelt von harten Belegen, Rinderstatistiken, Maisabsatzzahlen, vornehmlich aus dem englischen Raum - aber es gibt auch dutzende Ernährungstheoretiker im Zitat, denen Fiddes die klare Meinung vesalzt. Kein Essen nämlich ist "natürlich", jede Nahrungsvorliebe, und jeder "wissenschaftliche" Beweis einer Spielart ist, fast unabhängig von den Fakten, kulturgemacht. Auch die Abneigung. So wurde der Kannibalismus, komplett mit dem zivilisierten Schauder davor und der mystischen Begründung dafür, möglicherweise frei erfunden. So hat man viel zu beißen. Und man lernt auch viel, wenn man Fiddes nicht in allem folgt. Etwa weil er nicht erklärt, wieso Gurkenschneiden keine Machtausübung ist, oder warum eigentlich sich mit der Kaninchenzucht wildere Kontrollphantasien verbinden als mit einem Spargelbeet. Schließlich verfällt er sogar seinem eigenen Nahrungszauber, wenn er hofft, wachsendes Verantwortungsgefühl für die ganze Natur könne Fleischessen zu einer schlechten Angewohnheit umwerten. Das wäre, käme es so, ja auch kein Beweis, sondern nur ein neues Kulturrezept. Nicht das Fleischessen nämlich ist pervers, sondern es nur für natürlich zu halten. WING
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Nick Fiddes: Fleisch. Symbol der Macht aus dem Englischen von Annemarie Telieps. Zweitausendeins 1998, 303 S., 12. DM |