FBI

Die Einbrecher des Präsidenten

Tim Weiners Geschichte des FBI

Agenten in Anzügen und Krawatten jagen die Bosse der Unterwelt. Sie sind ihren Feinden technisch und moralisch weit überlegen, ihre Intelligenz ist so legendär wie ihre Integrität. Und ihr oberster Boss Mr. Hoover wacht über Amerika.

Das ist ungefähr das FBI-Image bis in die 80er Jahre.

Dann entdeckten einige Biografen eine schwule Seite an Hoover, der in einer engen Beziehung zu seinem Stellvertreter gelebt haben soll. Hoover lebte bei Mama, trug in seiner Freizeit gern Frauenkleider und missbrauchte das FBI für seine persönlichen Feldzüge.

Das ist ungefähr das FBI-Image der Gegenwart.

Aber nicht nur Clint Eastwoods (mäßig gelungener) Film J. Edgar ließ sich auf diese Lesart nicht ein, auch Tim Weiner, bisher aufgefallen durch eine große Biografie der CIA, verschiebt den Focus in seinem Buch FBI - Die wahre Geschichte einer legendären Organisation (im Original schlicht Enemies). Das FBI, so Weiner, war immer mehr eine Spionage- resp. Anti-Spionageorganisation als eine reguläre Polizeitruppe. Als innenpolitische Schlägertruppe des Präsidenten wurde sie ebenso missbraucht wie unkontrollierbar. Die Erfolge im Ausland waren eher mäßig, die im FBI platzierten Spione der Gegenseite drangen in Geheimbereiche vor, die das FBI umgekehrt nie erschloss.

Weiner gelang es, einen Teil der verschwunden geglaubten Hoover-Akten zu erlangen, die der Chef-Bulle über Freunde und Feinde anlegte und mit süffisanten Kommentaren versah (es ist wieder einmal unheimlich, wie genau James Ellroy in seinen Romanen das vorweggenommen hat). Seine Angst vorm Kommunismus war allumfassend, sein Unwille, Befehle auszuführen, die ihm nicht passten, grenzenlos. Die Art, wie er in den 50ern und 60ern die Ermordung von Bürgerrechtlern hinnahm, grenzte an Obstruktion. Weil das FBI (bis heute) eigentlich keine Gründungsurkunde und keine "Satzung" besitzt, können Präsident und Justizministerium und das FBI selbst jeweils ihre Grenzen neu ausloten. Allein die Angst vor der Allmacht des FBI, so Weiner, begründet mehr als die Hälfte seiner Macht.

Das FBI schuf Regierungen (in Santo Domingo) und plante Mordkomplotte (gegen Castro und Allende). Man legte Geheimlisten und hörte illegal Telefone ab: aus dem Verbot, illegal abgehörte Telefonate vor Gericht als Beweis verwenden zu dürfen, schloss Hoover stiekum, dass er sehr wohl abhören dürfe, er könne es eben nur nicht vor Gericht verwenden. Dass die für die Abhöraktionen notwendigen Einbrüche illegal waren, wussten allerdings sowohl Hoover als auch seine Agenten.

Anfangs technische Avantgarde, geriet die Ausstattung des Büros gegen Ende des Jahrhunderts arg ins Hintertreffen. Die geheimdienstliche Katastrophe vom 11. September 2001 war nicht nur das Ergebnis eifersüchtiger Geheimdienste, die ihr Wissen nicht miteinander teilten. Das FBI selbst besass nicht einmal ein Intranet, Anfragen mussten alle über die Zentrale gehen, und ein FBI-Agent konnte von seinem Rechner im Büro aus nicht einmal ins Internet.

Die kleinen und großen Skandale dieser immer noch legendären Organisation verbindet Weiner, wie schon bei seiner CIA-Biografie, zu einem spannenden Protokoll amerikanischer Politik im 20. Jahrhundert. Moralisch nimmt Weiner das Treiben des Bureaus eher locker. Wenn es den USA nutzt, so sein Credo, kann es nicht falsch sein. Das mag auf europäische Leser irritierend wirken, aber wer ein Erbauungsbüchlein will, der lese halt was anderes. Als Faktensammlung einer staatlichen kriminellen Vereinigung, deren größtes Verdienst es ist, ein Image zu besitzen, das zu keiner Zeit der Wirklichkeit entsprach, ist das Buch eine Fundgrube. Allein die Kapitel über Nixon und Hoover, zwei ausgewachsene Paranoiker, die einander ununterbrochen belauern, ist bester Anekdotenstoff.

Erich Sauer
Tim Weiner: FBI. Die wahre Geschichte einer legendären Organisation. Aus dem Amerikanischen von Christa Prummer-Lehmair, Sonja Schuhmacher und Rita Seuß. S. Fischer, Frankfurt 2012, 695 S., 22,99