Alte Geschichten

Beobachter der Gefühle

Kästners »Fabian« in einer neuen Fassung

1931 erschien Erich Kästners Roman Fabian, der von einem jungen Mann handelt, der in Berlin das Ende der Weimarer Republik beobachtet. Fabian ist ein Beobachter der Gefühle, ein genießender Voyeur, der sich durch eine Reihe von meist urkomischen Szenen bewegt, in denen Kästner zu beschreiben versucht, was 1931 mit Deutschland und den Deutschen nicht stimmte.

Zwei Jahre später kamen die Nazis an die Macht, verboten den Roman und verhängten ein Schreibverbot über Erich Kästner. Aber wie Fabian blieb Kästner in Deutschland, in Berlin, und beobachtete weiterhin, was mit Deutschland und den Deutschen nicht stimmte.

Einen Roman hat Kästner aus seiner Nazi-Beobachtung nie gemacht. Aber in unzähligen Reden und Essays hat er beschrieben, dass er sich als Arzt am Bett eines Patienten fühlte, den man nicht allein lassen dürfe. Obwohl Kästner mannigfaltige Möglichkeiten gehabt hätte, Deutschland zu verlassen, bleib er (auch wegen seiner Mutter) und versuchte sogar, das Schreibverbot der Nazis zu unterlaufen. Er konnte seine Kinderbücher und humoristischen Romane in der Schweiz veröffentlichen, unter dem Pseudonym Gottfried Bürger verfasste er sogar das Drehbuch zu dem UFA-Jubiläumsfilm "Münchhausen". Fabian, der Roman, hatte neben einigen Gedichten, mit denen Kästner die Rechten zur Weißglut gebracht hatte, endgültig dazu geführt, dass die Nazis seine Bücher verbrannten (Kästner war aus Neugierde bei der Verbrennung anwesend). Dabei erschien der Roman 1931 in einer Fassung, für die Kästner auf Wunsch des Verlages einiges ändern musste. Der Gang vor die Hunde, herausgegeben von Sven Hanuschek, versucht eine Fassung des Romans herzustellen, wie er ursprünglich mal geplant gewesen sein mag; warum das nicht eindeutig festzustellen ist, erklärt der Herausgeber in einer editorischen Notiz. Fabian ist als Roman nicht perfekt, aber präziser und witziger kann man sich über das Ende der ersten deutschen Demokratie nicht unterhalten. Die eingefügten Kapitel und Absätze ergeben keinen neuen Roman, manches war schon bekannt und woanders zu lesen. Als "integrale Fassung" ist Der Gang vor die Hunde (ein Titel, den Kästner gegen den Verlag nicht durchsetzen konnte) allemal lesenswert, nicht nur für Freunde Erich Kästners.

Thomas Friedrich

Erich Kästner: Der Gang vor die Hunde. Herausgegeben von Sven Hanuschek. Atrium, Zürich 2013, 320 S., 22,95